4-12-2001

 

BERTOLT BRECHT

Erotische Gedichte

 

 

 

Liebe Marie, Seelenbraut

 
Liebe Marie, Seelenbraut:
Du bist viel zu eng gebaut.
Eine solche Jungfernschaft
Braucht mir zu viel Manneskraft.
 
Ich vergieße meinen Samen
Immerdar schon vor der Zeit:
Wohl nach einer Ewigkeit
Aber lange vor dem Amen.
 
Liebe Marie, Seelenbraut:
Deine dicke Jungfernhaut
Bringt mich noch zur Raserei.
Warum bist du auch so trei?
 
Warum soll ich, sozusagen:
Nur weil du lang sitzenbliebst
Grade ich, den du doch liebst
Mich statt einem andern plagen?!

 

 

 

 

 

 

Lied der liebenden Witwe

 

Ach, ich weiß, ich dürft es nie gestehen
Daß ich zittre, wenn mich seine Hand berührt
Ach, was ist mit mir geschehen
Daß ich bete, daß er mir verführt
Ach, zur Sünde schleiften mich nicht hundert Pferde
Wenn ich ihn nur nicht so sehr begehrte.
 
Wenn ich mir so gegen Liebe stemmte
Hab ich mich doch schließlich nur darum gestemmt
Weil ich weiß: steh ich vor ihm im Hemde
Bin ich ausgeplündert bis auf Hemd
Als ob er sich dann um meinen Vorwurf scherte!
Wenn ich ihn nur nicht so sehr begehrte.
 
Ich bezweifle, ob er meiner wert ist
Ob es wirklich Liebe bei ihm ist?
Wenn all mein Erspartes aufgezehrt ist
Wirft er dann die Schale auf den Mist?
Ach, ich weiß, warum ich mich so wehrte:
Wenn ich ihn nur nicht so sehr begehrte.
 
Hätte ich Vernunft für sieben Groschen
Hätt ich nie gewährt, um was er leider bat
Sondern hätte ihn sogleich verdroschen
Wenn er mir, wie es geschah, zu nahe trat.
Ach, wenn er sich doch zum Teufel scherte!
(Wenn ich ihn nur nicht so sehr begehrte)

 

 

 

 

 

Der Jüngling und die Jungfrau

Keuschheitsballade in Dur
 
Ach, sie schmolzen fast zusammen
Und er fühlte: Sie ist mein.
Und das Dunkel schürt die Flammen.
Und sie fühlt: Wir sind allein.
Und er küßte ihr die Stirne
Denn sie war ja keine Dirne -
Und sie wollte keine sein.
 
Oh, das süße Spiel der Hände!
Oh, ihr Herz war wild wie nie!
Daß er die Kurasche fände
Betet er und betet sie.
Und sie küßte ihm die Stirne
Denn sie war ja keine Dirne
Und sie wußte nur nicht wie...
 
Und um sie nicht zu entweihen
Ging er einst zu einer Hur
Und die lernte ihm das Speien
Und die Feste der Natur.
Immerhin ihr Leib war Lethe
Bisher war er kein Askete
Jetzt erst tat er einen Schwur.
 
Um zu löschen ihre Flammen
Die er schuldlos ihr erregt
Hängt sie sich an einen strammen
Kerl, der keine Skrupel hegt.
(Und der haute sie zusammen
Auf die Treppen hingelegt.)
Immerhin sein Griff war Wonne
Und sie war ja keine Nonne
Jetzt erst war die Gier erregt.
 
Und er lobte sein Gehirne
Daß es klug gewesen sei:
Als er sie nur auf die Stirne
Einst geküßt im sel’gen Mai - 
Er als Mucker, sie als Dirne
Sie gestehn Scham auf der Stirne:
 
Es ist doch nur Sauerei.

 

 

 

 

 

Ratschläge einer älteren Fohse an eine jüngere

1
Wenn ich dir sag, wie man als Fohse liebt
So hör mir zu mit Fleiß und ohn Verdruß
Weil ich schon lang durch Kunst ersetzen muß
Was dir die Jugend einige Zeit noch gibt
Doch wisse, daß du desto jünger bleibst
Je weniger mechanisch du es treibst.
 
2
Mit Faulheit ist's bei jedem gleich verhunzt
Riskiert nur, daß er dich zusammenstaucht
Und er, wenn du ihn fickst, daß dir die Fotze raucht
Stinkfaul am Arsch liegt und "Mehr Demboh" grunzt.
Und nennt der Herr die beste Arbeit schlecht
Halt deinen Rand: der Herr hat immer recht.
 
3
Klug mußt du sein wie Pfaffen, nur genauer
Sie zahlen dir nicht das für dich Bequeme!
Und ihre Schwänze sind für dich Probleme
Genau wie Pfeifen für den Orgelbauer.
Jung ahnt man nicht, was alles daran hängt
Doch was ist eine Fohse, die nicht denkt?
 
4
Was seinem Weib nicht frommt, der Fohse frommt's
Drum - mußt du ihn hereinziehn auch am Strick -
Seufz, wenn er drinnen ist: "Ihrer ist dick!"
Und wenn's ihm kommt, dann stöhne schnell: "Mir kommt's!"
Denn bei den Jungen grad wie bei den Alten
Du mußt sie immerfort im Aug behalten.
 
5
Sag ihm, es macht dich geiler, wenn der Herr
Dein Ohr leckt. Leckt er's, stöhn: "Ich bin so scharf!"
Und glaubt er's, stöhn: "Ich bitt, daß ich mich strecken darf!"
Und dann: "Entschuldigen Sie, ich bin so naß parterre."
Daß ihr ein Herz und eine Seele schient
Er zahlt dafür, daß er dich gut bedient.
 
6
Nicht immer ist es schmackhaft, ungesalzen
Sich einen bärtigen Schwanz ins Maul zu stecken
Und ihn, als wär es Lebertran, zu lecken
Denn oft ist's saubrer, ihn dort zu umhalsen.
Und er verlangt nicht nur, daß er genießt
Sondern auch, daß du selbst erregt aussiehst.
 
7
Wenn du es je nicht schaffst, dich aufgeregt zu stellen
Halt deinen Atem an, als sitzt du auf dem Topf
Dann scheint's, als steige dir das Blut zu Kopf
Bequemer ist's, als wie ein Fisch zu schnellen.
Auch einen sanften Mann kannst du empören
Denkst du an Dinge, die nicht hergehören.
 
8
Vergiß nie, daß es sich um Liebe handelt
Vergißt du's doch, so fall nicht gleich aufs Maul
Und mache aus dem Saulus einen Paul
Ein Finger im Arsch hat manchen schon gewandelt.
Du hast noch nicht erlebt, was ihrer harrt
Der Fohsen ohne Geistesgegenwart.
 
9
Für unsereinen ist es eine harte Nuß
Sieht sie, daß ihre Fotz zu weit wird (wie bei mir)
So daß ein Mann gar nichts mehr spürt bei ihr
Und er sich um den Schwanz ein Handtuch wickeln muß.
So eine muß beizeiten daran denken
Ob ihr die Gäule was fürs Vögeln schenken.
 
10
Die Bürgermädchen, die auf Gartentischen
Die älteren Brüder längst zusammenhaun
Machen die Fotze enger mit Alaun
Um sich ewig einen Mann zu fischen.
Wo's angebracht ist, richte dich nach denen
Und: Was ist eine Fohse ohne Tränen?
 
11
Sehr viele Männer vögeln gern Gesichter
Das Weib muß oben so wie unten naß sein
Bei einem solchen darf es für das Weib kein Spaß sein
Er selbst erscheint sich umso ausgepichter.
Vor diesen also heuchle ruhig Qualen
Wo's angebracht ist. Denn auch diese zahlen.
 
12
Der Herr weiß selber selten, was er will
Du mußt es wissen! Tritt er in die Kammer
Weißt du: ist er heut Amboß oder Hammer?
Werd ich gevögelt, hält Er heute still?
Die Menschen zu erkennen, ist die Kunst
Das muß so spielend gehn, wie einer brunzt.
 
13
Die schlimmsten Leute sind die klugen Leute
Ich hätt oft lieber doch mit einem Hund geschlafen
Die klugen Leute, du, sind unsere Strafen
Die graben sich ein, das seh ich an mir heute
Ich selbst. Obgleich ich nie, was ich tat, gern getan
Ich tat doch keinem etwas Kluges an.
 
14
Doch wisse, daß ich selber mich verachte!
Wenn du, nachdem du lustlos unter Männern lagst
Einmal nicht ganz im Dreck verrecken magst
So mach es anders, als ich selbst es machte.
Wenn du einmal was Kluges findst, dann tu's
Hab ich es nicht geschafft, vielleicht schaffst du's.

 

 

 

 

 

 

Über die Verführung von Engeln

Engel verführt man gar nicht oder schnell.
Verzieh ihn einfach in den Hauseingang
Steck ihm die Zunge in den Mund und lang
Ihm untern Rock, bis er sich naß macht, stell
Ihn das Gesicht zur Wand, heb ihm den Rock
Und fick ihn. Stöhnt er irgendwie beklommen
Dann halt ihn fest und laß ihn zweimal kommen
Sonst hat er dir am Ende einen Schock.

Ermahn ihn, daß er gut den Hintern schwenkt
Heiß ihn dir ruhig an die Hoden fassen
Sag ihm, er darf sich furchtlos fallen lassen
Dieweil er zwischen Erd und Himmel hängt —

Doch schau ihm nicht beim Ficken ins Gesicht
Und seine Flügel, Mensch, zerdrück sie nicht.

 

 

 

 

 

Saune und Beischlaf

 
Am besten fickt man erst und badet dann.
Du wartest, bis sie sich zum Eimer bückt
Besiehst den nackten Hintern, leicht entzückt
Und langst sie, durch die Schenkel, spielend an.
 
Du hälst sie in der Stellung, jedoch später
Sei’s ihr erlaubt, sich auf den Schwanz zu setzen
Wünscht sie, die Fotze aufwärts sich zu netzen.
Dann freilich, nach der Sitte unsrer Väter
Dient sie beim Bad. Sie macht die Ziegel zischen
Im schnellen Guß (das Wasser hat zu kochen)
Und peitscht dicht rot mit zarten Birkenreisern
Und so, allmählich, in dem immer heißern
Balsamischen Dampf läßt du dich ganz erfrischen
Und schwitzt dir das Geficke aus den Knochen.

 

 

 

 

Ballade von den untreuen Weibern

1
Willst du ein Weib, mein Sohn, für dich allein
Dann mach dein Testament für diese Erde
Wird nicht dein Maul wie das von einem Schwein
Dann gleicht dein Schwanz bald dem von einem Pferde
‘s Gibt dies und das Weib, das sich dann beschwert
Doch die begehre nicht: sie ist nichts wert
 
2
Lüg’s ihr, daß keiner größer ist als deiner
Sag’s ihr ganz deutlich, Junge, nimm ein Beil
Und setz dich neben sie, sonst steckt ihr einer
Sofort ein Kissen unters Hinterteil
Es gibt auch dies und das Weib, das sich wehrt
Halt dich von diesen fern: sie ist nichts wert
 
3
Hau in die Bettstatt neben euch dein Messer
Und geh ja nicht hinaus, wenn du nicht mußt
Dann nimm sie mit, ich sag dir, ‘s ist besser
sonst greift ihr wieder einer an die Brust
‘s gibt dies und das Weib, das sich drum nicht schert
doch halt dich fern von der: sie ist nichts wert
 
4
Du darfst sie auch nachts nicht zu oft gebrauchen
Sonst schläfst du allzu tief und nichts ist schlimmer
Kannst du im Schlaf nicht grad noch Pfeife rauchen
Läuft sie doch gleich noch in ein andres Zimmer
‘s gibt dies und das Weib, das den Schlummer ehrt
Halt dich von der entfernt: sie ist nichts wert

 

 

 

 

 

Das neunte Sonett

Als du das Vögeln lerntest, lehrt ich dich
So vögeln, daß du mich dabei vergaßest
Und deine Lust von meinem Teller aßest
Als liebtest du die Liebe und nicht mich.
 
Ich sagte: tut nichts, wenn du mich vergißt
Als freutest du dich eines andern Manns!
Ich geb nicht mich, ich geb dir einen Schwanz
Er tut dir nicht nur gut, weil’s meiner ist.
 
Wenn ich so wollte, daß du untertauchst
In deinem eignen Fleische, wollt ich nie
Daß du mit eine wirst, die da gleich schwimmt
Wenn einer aus Versehn hinkommt an sie.
Ich wollte, daß du nicht viel Männer brauchst
Um einzusehn, was dir vom Mann bestimmt.

 

 

 

 

Melindas Lied

Chloe saß an einem Bach
Aus dem Schlehdorn trat Achill
Fragte sie der Held, ob sie ihn, ach
Lieben will?
Sah das Mädchen fürchtesam ihn an
Und verbarg im Klee das Angesicht.
Sprach der Held und staunte: Mädchen, dann
Gefällt dir wohl mein güldner Küraß nicht?
 
Wandte sich zum Gehn Achill
Und es rauschte hell der Bach
Und im Dorn die Vöglein wurden still - 
Sprach sie: Ach.
Sprach das Mädchen: Ach, wie leicht doch ficht
Es sich gegen Löwe, Hirsch und Pfau
Ach, dein güldner Küraß ist es nicht
Gefallen könnt mir deiner Augen Blau.

 

 

 

 

 

Belehrungen in Sachen Sex
Bertolt Brecht: Über Verführung. Erotische Gedichte. Mit Radierungen von Pablo Picasso.
Von Dorothea von Törne

Pünktlich zum 100. Geburtstag Bertolt Brechts holte der Suhrkamp Verlag zu einem Schlag unter die Gürtellinie der Brechtgemeinde aus und editierte die mehr oder weniger pornographischen Gedichte des Jubilars in einem Extraband. Wir wissen ja: Mit einem unnachahmlich zart fragenden "Hallo" soll der notorische Frauenverbraucher die anvisierten weiblichen Objekte erobert haben. So erzählte es seine Mitarbeiterin und Geliebte Ruth Berlau.

Welchen Wert haben diese mal locker tändelnden, mal didaktischen erotischen Verse; sind sie als Texte eines Zynikers allesamt reine Pornographie oder doch Dichtung? Lesen wir nicht die Voyeure und Rächer der Enterbten, sondern die Verse selbst. "Über Verführung" ist ein gerafftes Kompendium mit Versen zu Sexualität und Erotik, übrigens hervorragend ausgestattet mit Radierungen von Pablo Picasso. Hier böte sich dem Leser lediglich eine Hitparade vulgärer Texte zu banalen Tatsachen, wären sie nicht allesamt poetisch wohlgeformt: exakt gebaute Sonette und fein ziselierte freie Rhythmen, wie beiläufig hingehauchte Reime und zielsichere Laut-Attacken auf das buchwärts geneigte Ohr. Der thematischen und sprachlichen Grenzüberschreitungen war sich der Dichter sehr wohl bewußt, gehörten sie doch zu seiner Methode. Er selbst hat die in Versen spielerisch erprobten Grenzverletzungen nur als Privatdrucke in Umlauf gebracht oder in weniger delikaten Fassungen. Am Anfang, im Jahr 1918, singt Bertolt Brecht "Baals Lied", die sexuellen Bekenntnisse eines wilden Bürgerschrecks, die der Dramatiker allerdings aus seinem Baal-Stück später ausgegliedert hat. Ungeniert wälzt sich Baal mit fetthüftigen Weibern im grünen Gras. Doch muß man sich hüten, den im Lied agierenden bösen Buben mit dem Verfasser gleichzusetzen. Zu demonstrativ ist die Ausstellung des Banalen und das Prahlen mit der Maßlosigkeit. Der Verfasser setzt auf Provokation.

Anders als die scheinbar unbekümmerten Prahlereien des der Promiskuität frönenden Sittenstrolches Baal liest sich das nur zwei Jahre später geschriebene Dunkel im Weidengrund. Hier wird Sexualität nicht mehr provozierend offen zur Schau gestellt, sondern eilig verhuscht im Dunkel betrieben. Hier beginnt das von Shakespeare her kommende Ophelia-Motiv für Brecht wichtig zu werden, das später im traurig-trostlosen Weltanschauungsgedicht Ballade vom ertrunkenen Mädchen zu unterkühlter Hochform aufläuft.

Mit Bertolt Brecht zog Kühle in die Liebeslyrik ein. Er brach mit dem traditionell verklärenden Grundton und ersetzte das hochgestimmte Minne-Pathos durch die sachlich-nüchterne Feststellung. Solch Lakonismus wirkte stilbildend auf nachfolgende Lyrikergenerationen.

Das Zurückführen der hohen Gestimmtheit auf das Maß des Kreatürlichen erforderte ein Vokabular, das körperliche Vorgänge als solche benennt. Brecht fand es in den unteren Stilebenen, im Wortbereich des Saloppen, Vulgären und Obszönen - und er setzte es wohlkalkuliert ein. Sprachreflexiv denkt das Sonett Nr. 15 über den Gebrauch gemeiner Wörter nach und plädiert für sparsame und funktionelle Verwendung. Das Auskosten der Wirkung ordinärer Worte aber muß ihm Vergnügen bereitet haben. Davon zeugt Das dritte Sonett, das mit dem Reimwort spielt, das durch Verschweigen reizt. Mit ihm - und mit zwölf anderen Sonetten über Begierde und Lust - ließ er Margarete Steffin erröten. Ein Filou war er sicherlich - aber auch ein Revolutionär der erotischen Dichtung? Betrachtet man die in den Versen agierenden Iyrischen Figuren Mann und Frau, so ist deren Verhältnis zueinander eher konservativ. Der Mann als Subjekt und Lehrer, die Frau ein Objekt, bestenfalls eine Lernende, ganz nach dem Muster traditionellen Rollenverhaltens.

Bei seinen Belehrungen in Sachen Sex schreckte Brecht auch nicht vor pseudowissenschaftlichen Argumenten zurück wie im13. Sonett. Frei erfunden wird die sprachliche Herkunft eines Wortes, wenn's denn nur wirkt. Er argumentiert mit Dante und den griechischen Mythen, ist auf das Erkennen gesellschaftlicher Kausalitäten aus. Vor allem aber nimmt er gerade im erotischen Bereich eine Umwertung bürgerlicher Werte vor. Keuschheit, Jungfernschaft und eheliche Treue sind die Postulate, gegen die er in drastischen Worten löckt. Das Ausprobieren neuer Sprechstrategien, das Ausprobieren von Gesten und Fragehaltungen zieht sich wie ein roter Faden durch alle Liebesgedichte. Körpersprache wird konsequent in Körpertext übersetzt. Wer sich nun ob dieser Sammlung rüder Verse empört, dem sei die Lektüre des ganzen Brecht empfohlen. Er war ja auch ein Dichter der nuancierten Empfindung, der die Mythen der Antike ebenso für seine Zwecke zu gebrauchen wußte wie die Chiffren der Moderne.

(Aus "Radio Kultur" Nr. 72 3/98)

 

Erotische Gedichte

Sie soll auch was davon haben

Männerverse: Ein bibliophiler Band versammelt Bertolt Brechts erotische Lyrik

Caroline Fetscher

Es nimmt kein Ende mit Brecht und den Frauen, und mit dieser Frage ob er sie nun benutzt und beschmutzt hat, sie als Plagiator ausgebeutet oder inspiriert hat. Wahrscheinlich beides, und beides immer. Eigentlich braucht man nur bei Brecht selbst nachzulesen, um seine politische Empathie und die persönliche Ambivalenz Frauen gegenüber zu finden. Steht alles da.

Dem obszönen Dichter Brecht, dem Macho und Frauenanwender, widmet der Insel-Verlag jetzt eines seiner kleinen, bibliophilen Bändchen. Außen verziert mit japanischen Tuschestreifen, innen dekoriert mit erotischen Picasso-Vignetten, erhält die Anthologie erotischer Gedichte "Bertolt Brecht. Über Verführung" einen ästhetischen Kragen, den sich Baal nicht umgebunden hätte. Es handelt sich um eine Sammlung gereimter Brecht-Männerfantasien. Viele der Gedichte, die heute unter dem Label "Explicit Lyrics" laufen würden, wurden zu Lebzeiten Brechts nicht publiziert.

Auf ihre Weise sind solche Verse inzwischen vor allem Zeitzeugnisse, deren "Tabubrüche" die Grenzen der Geschlechtergeographie einer vergangenen Epoche zeigen. Besonders sympathische Verse sind die meisten dennoch nicht. Aber man soll auch das Bessere sehen, etwa in den Strophen " Über  die Verführung von Engeln". Da rät und verrät Brecht: "Engel verführt man gar nicht oder schnell. / Verzieh ihn einfach in den Hauseingang/ (... ) Und fick ihn. Stöhnt er irgendwie beklommen / dann halt ihn fest und laß ihn zwei Mal kommen / Sonst hat er Dir am Ende einen Schock", um mit einem Hinweis auf Schonung zu enden: "Doch schau ihm nicht beim Ficken ins Gesicht. Und seine Flügel, Mensch, zerdrück sie nicht." Immerhin.

Irgendwie rührend ist es auch, wenn dem Autor der Männerverse nicht ganz entgeht, dass das Objekt auch seine Freude haben kann und soll. Ein Ich sagt zum Du in "Das neunte Sonett": "Als du das Vögeln lerntest, lehrt ich dich / So vögeln, daß du mich dabei vergaßest / und deine Lust von meinem Teller aßest / Als liebtest du die Liebe und nicht mich." Eine pantheistische Megafantasie schließt sich an, in der das Mann-Ich für das Frau-Du alle Männer verkörpern will, - ungefähr die netteste Art den eigenen Narzissmus zum Wohl des Andern umzuwenden. Das Ganze endet mit der Bekräftigung der didaktischen Absicht: "Ich wollte, daß du nicht viel Männer brauchst / Um einzusehen, was dir vom Mann bestimmt." Bisschen viel Bestimmung und Vorsehung und Einsichtserwartung, aber in einem bibliophilen Bändchen und dann noch von Brecht geht sich das schon aus, old boys.

Poetry Review

Aspects of Brecht and Lorca

(Volume 88, No 2 - Summer 1998)

The Seven Deadly Sins

by Elaine Feinstein

As a Brighton Festival tribute to the great German poet and playwright, Bertolt Brecht, born in Augsburg a hundred years ago, seven poets were each invited to take one of the Seven Mortal Sins of the Church Fathers as a subject. Brecht’s ballet and song cycle The Seven Deadly Sins, put together with Kurt Weil in a few weeks between April and May 1933, drew a fashionable audience to the first performance in June of the same year in Paris. It was that occasion the Festival wished to celebrate.

The seven poets were assured that our names would be drawn out of a hat to be paired with each particular sin, and that nothing in our characters had seemed particularly apposite to the Sin we had been given. After that, we could deal with them in any way we liked.

First thoughts suggested the sins themselves no longer excite much condemnation in the present world. We fail to articulate Anger at our peril. Pride, too, labelled high self-esteem, has become something very like a virtue. And there’s more suspicion of celibacy than lust.

However, Brecht had even less respect than we do for traditional morality. His whole generation was impatient with words like “duty” and “honour”, under whose banner older men had sent their sons to death in the trenches. Comfortable burghers continued to mouth moral advice in Germany after defeat in the Great War, while the burden of reparations meant that most citizens had to endure ruinous inflation, beggary, and starvation. The Seven Deadly Sins was a savage indictment of the society around him.

In Brecht’s play, a rural family in Lousiana sent their daughter Anna to the Big City so that she could earn some money and post it back home like a good girl. Goodness, however, as Mae West once growled, had little to do with it. To cope with the jungle of the city, Anna has to split into two sisters. One has a warmth and tenderness which make it unlikely she will survive. The other is a practical girl who manages her sister’s career with worldly commonsense. In the process, the meaning of each sin is radically re-interpreted. In the scene called ‘Pride’, for instance, Anna is reluctant to strip off her clothes for a sleazy cabaret owner, but her sensible sister persuades her to abandon such vanity.

The idea that goodness has to compromise with evil in order to survive is one of Brecht’s central insights, though he usually blamed this on the capitalist society in which he lived. In The Threepenny Opera, Brecht, like John Gay before him, saw respectable bourgeois society resting on the very vices it condemned in the criminal world. For Brecht, the bourgeois notion of virtue and vice was irrelevant to the evils inherent in the structure of society itself.

It must be confessed that the underworld of pimp and whore is unconscionably glamorous in the hands of Brecht and Weill, even though the central message of The Threepenny Opera is a condemnation of the hypocritical rich. In Brecht’s criticism of society, the vices listed by the Church fathers were altogether venal in comparison with the evils of cruelty and exploitation of the weak. No-one could live innocently in a set up where the only real choice was between “kicking and being kicked”. One of the songs from The Threepenny Opera makes the point with characteristic glee:

What keeps a man alive? The fact that millions
Are daily tortured, stifled, punished, oppressed.
A man can stay alive thanks to his brilliance
In keeping his humanity repressed.
And all of you must learn to face the facts
Mankind is kept alive by evil acts.

Brecht had ample opportunity to study the misery of the exploited in the Germany of the Depressed twenties, and watch as a desperate German people turned to Hitler for rescue. Brecht was an outspoken opponent of Hitler, even at a time when to be so was dangerous. He made fun of him in Arturo Ui. He wrote

They won’t say the times were dark
Rather: why were their poets silent?

And Brecht was not silent about Hitler. He wrote about those who were forced to flee the country, the brutality of the Storm troopers, and times of such terror that “the man who laughs is the one who has not yet been told the terrible news”.

The only force that seemed strong enough to oppose Hitler’s Terror was the Marxist Left, to which Brecht with his passion for collective, didactic theatre was drawn in any case. Unfortunately, as we all know with hindsight, the brutalities of Capitalism were soon to be matched by the brutalities of new societies set up on a Socialist model.

It is entirely understandable that Brecht only wanted to see what was good in the New World of Communism. Many visitors to Russia were deceived by what they were shown, including Malraux, André Gide, George Bernard Shaw and H. G. Wells. Russia is a huge country, and there were genuine improvements to see. Yet when Brecht visited Moscow he was closer to the centres of power, and far from stupid. As the “terrible Twentieth century” wore on, it is hard to acquit him of some complicity in the ruthlessness of Stalin’s regime. He was too ready to accept that good ends justify any means, as his savage play Die Massnahme (The Decision) makes painfully clear. And Stalin had his own agenda in relation to Germany. Brecht knew German Communists had been given instructions not to co-operate with Social Democrats and other opponents of Nazism. Brecht did not approve that willingness to collude with Hitler’s rise as a necesary prelude to Communism, but he did not modify his own support for Stalin.Worse, he even found it possible to accept that friends put into prison at the time of the purges in Russia had done something to deserve their fate. Take Carola Neher, a lovely actress who had been one of Brecht’s lovers before she left for Russia as a committed communist. When he heard of Carola’s imprisonment – she subsequently died in prison – he did not question the morality of it, only why it had been thought necessary. In a letter to Feuchtwanger, he wrote:

She is said to have been jailed in Moscow, I don’t know why, but I really can’t think of her as a danger to the survival of the Soviet Union. Maybe some sort of love trouble.

In letter a month later he wrote:

Perhaps by calling attention to her great talents as an artist, one might get them to speed up proceedings... (my italics).

Both these letters were written in 1937, the year when, under Yezhov, the most terrible of purges was taking place in Russia, and millions of innocent men and women went to their deaths in the Gulag. Was it wicked of Brecht to be less than willing to see the evils of the Soviet system? Is turning a blind eye O.K.? The Church fathers certainly did not include it among the sins.

In 1992 I wrote a novel about Brecht which raised a number of questions about his own moral standing. In writing the book, I was much influenced by John Fuegi’s biography, The Life and Lies of Bertolt Brecht, put into my hands by the BBC, at the time I was commissioned to write an eight-part TV series on the man, alongside Michael Hastings and Jorge Semprun.I soon discovered there were areas in which Brecht himself was exploitative; particularly in his dealings with women. For all his tobacco-stained teeth, tin glasses, and dirty clothes, Brecht had an extraordinary entourage of beautiful women obsessively in love with him all his life. They were willing to type for him, cook for him, mend his clothes, and welcome him into their beds. He sometimes shared his favours among as many as seven of them at the same time, including the unfortunate Carola Neher, who was then one of the most glamorous stars on the German stage. Now the pattern of the great creative artist surrounded by adoring women is hardly uncommon. What is unusual in Brecht’s case was how much he took from the women’s own work. My novel explored what led a beautiful woman to accept her subservience so willingly. Many of the women who joined Brecht’s Theatre Group were talented writers themselves. Indeed, the most dedicated admirers of Brecht’s plays recognise that some of his most characteristic work was done in collaboration with those talented women. The elegant Elizabeth Hauptmann, for example, translated John Gay for Brecht, and wrote a good deal of The Threepenny Opera, as well as the famous ‘Alabama’ song from Mahoganny. She received neither credit nor royalties for her contribution.

Another of his lovers, the pert and beautiful Grete Steffin, was a talented poet in her own right. She was not only an important collaborator on The Caucasian Chalk Circle, but also wrote first drafts of The Good Woman of Szhechuan.

Both women, as dedicated Communists and believers in the value of group work, accepted their subsidiary role. Nor was it Hauptmann or Steffin Brecht thought to marry, but Helene Weigel, the best actress on the German stage, and a shrewd woman who knew better than to complain over his many love affairs.Even when the rise of Hitler turned Brecht into a refugee, none of his women abandoned him. Hauptman remained in Berlin, loyally safeguarding his papers, while Brecht travelled to Denmark , with a caravan of support, which included Grete Steffin as well as his wife Helene Weigel. In Denmark, he added a new lover to his entourage: Ruth Berlau, a Danish actress. All three of these women moved with Brecht when he had to flee to Sweden, though Grete Steffin had finally to be left behind in Moscow, dying of tuberculosis. Exile in the United States proved a disaster for both Ruth Berlau and Helene Weigel as actresses.

Brecht’s pragmatism usually ensured that he himself landed on his own feet, whatever happened to his associates, but the period in the States was a miserable time for him also. Only Kurt Weil, once bamboozled by Brecht into accepting less than his due in royalties, made the successful transition from the European stage to Broadway.

Self-interest was not thought of as one of the mortal sins by the Church Fathers, who do not single out for condemnation either opportunism or the naked desire to survive. There may be a reason for this. Their belief in original sin made it easier for them to see human beings as naturally flawed creatures. As we begin to understand the biology of the human animal, we may find ourselves coming uncomfortably closer to their position. How much can be expected of a creature evolved from forebears whose survival was ensured by aggression and unbridled fornication?Perhaps what is really remarkable about humanity is that animals with such an inheritance nevertheless evolved many thousands of years ago with enough subtlety to draw bison on caves and make songs that outlast their own brief lives. Brecht was one of those makers of genius. The observations in his poetry and in his songs continue to have an awkward pertinence in our own age, even as the gap between prosperous and starving nations has never been wider.

So people who believe they have a mission
To cure us of the Seven Deadly Sins
Should look into the basic food position,
And understand where moral life begins.
Those who declare what should be done as well
Must learn to see the way the world is run.
For all you may prefer the lies you tell,
Food must come first. Then morals follow on.

Bertolt Brecht was born in Ausburg in 1898 and died in Berlin in 1956. He came to maturity in the decadent Germany of the twenties and his poetry and plays of that period, such as The Threepenny Opera, constitute the most incisive critique of the era. He left Germany in 1933 when Hitler came to power and lived for many years in America. After the War he returned to East Germany where he founded the legendary Berliner Ensemble. For some time his poetry was overshadowed by his plays – The Life of Galileo, Mother Courage and The Caucasion Chalk Circle – but he is now recognised as one of the greatest poets of the twentieth century. His Collected Poems 1913-1956 is published by Methuen.

   

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