Ulla Hanh

6-3-2001

ULLA HAHN

 

 

(1946 - )

Gedichte:

 

Als er zurückkam

Zurechtgerückt

Vorbei

Leises Licht

Mit Haut und Haar

Erwachen

Bildlich gesprochen

Blinde Flecken

Heller Wahnsinn

Mein Vater

Wartende

 

Als er zurückkam

Als er zurückkam mein Freund mein Geliebter
blaß mager mich in den Arm nahm
begriff ich augenblicks daß er sterblich ist
mitten in seinem lebendigen Kuß. Wie noch nie
versicherte ich mich seiner Lippen der Zunge
ja mir war ich müßte mein Leben einfauchen
dem der mich so warm und verläßlich umschloß.
Wunder gebaren mir plötzlich all seine vierzig
Jahr alten Arme und Beine seine schöne Brust
sein Bauch sein Geschlecht sah ich mit eigenen Augen
nach Jahren so wie sie sind. Nein ich liebte ihn nicht
wie beim ersten Mal blindlings verschlossen. Nein ich liebte ihn
offenen Auges Blutes mit allen Kräften zum ersten Mal.
Seither denke ich anders an ihn wenn er nicht bei mir und
bei mir ist: er ist ein sehr kostbarer sehr vergänglicher Mensch.

 

Quando ele voltou

Quando ele voltou o meu amigo meu amante

pálido magro e me abraçou

percebi nesse instante que era mortal

no momento do seu beijo vivo. De um modo novo

assegurei-me de que eram os seus lábios a sua língua

senti mesmo que tinha que insuflar a minha vida

nele que me abraçava tão quente e seguro.

Subitamente milagres me nasceram de todos os seus braços

e pernas velhos de quarenta anos o seu belo peito

a barriga o sexo vi-os com estes olhos

anos passados tal como são. Não não o amei

como da primeira vez às cegas fechada. Não amei-o

de olhos sangue abertos com todas as forças pela primeira vez.

Desde então penso nele de modo diferente quando ele não está e

está comigo: é uma pessoa muito preciosa muito efémera.

 

 

Zurechtgerückt

 

 

Ganz leise hast

Du dich angezogen

Ganz leise noch einmal

Zärtlich gelogen

Ganz leise die

Türe zugedrückt

Ganz leise dein

Herz zurechtgerückt.

Um jeito

 

 

 

Em silêncio

te vestiste

em silêncio uma vez mais

ternamente mentiste

Em silêncio

fechaste o portão

em silêncio a-

jeitaste o coração.

 

Vorbei

 

 

 

Die Zeit der Großen Gesten ist vorbei

von Öffnen Schließen sind die Arme müde

Willkomm und Abschied es ist einerlei

die Zeit der Großen Gesten ist vorbei

Die Zeit der süßen Weine ist vorbei

das Paradies verkorkt. Wer aus mir trinkt

dem rinnt das Blut zu Blei

die Zeit der süßen Weine ist vorbei

Die Zeit der hohen Sockel ist vorbei

das Marmorbild verkalkt. Über die Adern

der Stirn wächst Gras wird Heu

die Zeit der hohen Sockel ist vorbei.

Foi-se

 

 

 

 

O tempo dos grandes gestos foi-se e não voltará

os braços estão cansados de abrir e fechar

ledas ou tristes madrugadas tanto dá

o tempo dos grandes gestos foi-se e não voltará.

O tempo dos vinhos doces foi-se e não voltará

está rolhado o paraíso. Quem me beber

o sangue em chumbo lhe coagulará

o tempo dos vinhos doces foi-se e não voltará.

O tempo dos pedestais foi-se e não voltará

esclerosada a estátua de mármore. Sobre as veias

da testa a erva como feno crescerá

o tempo dos pedestais foi-se e não voltará.

 

Leises Licht

 

 

 

Ganz leise leise leise geht das Licht

den ich nicht kenne geht an meiner Seite

wir gehen wie ein Paar auf schöne Art

und scheu schau ich ihm manchmal ins Gesicht

Das neben meinem liegen wird wenn alles Licht

gegangen ist wird er an meiner Seite

mich Lieben wie ein Mann auf schöne Art

und treu und bleiben und es gibt ihn nicht.

Leve Luz

 

 

 

Passa a luz leve levemente

passa a meu lado este que não conheço

passamos com maneiras como um par

e eu lanço-lhe um olhar timidamente

a ele que me acompanhará quando finalmente

toda a luz se for ele a meu lado

me amará como um homem com maneiras

e fiel e seguro: uma miragem obviamente.

 

Mit Haut und Haar

 

 

 

Ich zog dich aus der Senke deiner Jahre

und tauchte dich in meinen Sommer ein

ich leckte dir die Hand und Haut und Haare

und schwor dir ewig mein und dein zu sein.

Du wendetest mich um. Du branntest mir dein Zeichen

mit sanftem Feuer in das dünne Fell.

Da ließ ich von mir ab. Und schnell

begann ich vor mir selbst zurückzuweichen

und meinem Schwur. Anfangs blieb noch Erinnern

ein schöner Überrest der nach mir rief.

Da aber war ich schon in deinem Innern

vor mir verborgen. Du verbargst mich tief.

Bis ich ganz in dir aufgegangen war:

da spucktest du mich aus mit Haut und Haar.

Analyse und Interpretation

De corpo inteiro

 

 

 

 

Da fossa dos teus anos te tirei do lameiro

e mergulhei-te nas águas do meu Verão

lambi-te mãos cabelo corpo inteiro

jurei ser minha e tua até mais não.

Tu deste-me a volta. Gravaste a fogo brando

a tua marca na minha pele fina.

Renunciei a mim. E eis senão quando

me começo a afastar da minha sina

e de mim própria. A princípio ainda a recordação

um belo resto chamando por mim.

Mas nessa altura estava já dentro de ti

de mim escondida. Bem me escondeste então.

Perdi-me toda em ti, de mim nem cheiro:

e então cuspiste-me de corpo inteiro.

 

Erwachen

 

 

 

Eine schöne Amsel öffnet mir morgens

die Augen. Sie singt im Zypressengrün

das Lied der Liebe von einst

Eine schöne Amsel löscht mir am Morgen

die Träume. Ich sitze mitten

im Licht ich bin wirklich da.

Despertar

 

 

 

Um lindo melro abre-me os olhos

de manhã. Canta no verde dos ciprestes

a canção do amor de outrora

Um lindo melro apaga-me os sonhos

pela manhã. Eu sentada no meio

da luz estou mesmo acordada.

 

 

Bildlich gesprochen

 

 

 

Wär ich ein Baum ich wüchse
dir in die hohle Hand
und wärst du das Meer ich baute
dir weiße Burgen aus Sand.

 

Wärst du eine Blume ich grübe
dich mit allen Wurzeln aus
wär ich ein Feuer ich legte
in sanfte Asche dein Haus.

 

Wär ich eine Nixe ich saugte
dich auf den Grund hinab
und wärst du ein Stern ich knallte
dich vom Himmel ab.

Linguagem figurada

 

 

 

 

Se eu fosse árvore crescia-

-te numa mão cheia

se fosses o mar fazia-

-te castelos brancos na areia.

 

 

Se fosses flor arrancava-

-te com raiz e tudo

se eu fosse fogo fazia-

-te a casa em cinzas-veludo.

 

 

Se eu fosse ninfa sugava-

-te para o fundo do mar

se fosses estrela dava-

-te um tiro para caíres do ar.

 

Blinde Flecken

 

 

 

Daß wir so uneins sind hält uns zusammen
du dort ich hier – wir sind auf andrer Fahrt:
Dein Istgewesen mein Eswirdnochkommen
zwei blinde Flecken in der Gegenwart
die uns gehört wie Träume vorm Erwachen
wenn wir schon wissen daß wir Träumer sind
die mit uns spielt ein Weilchen in den Winden
bis jedes hier und dort sich wiederfindet.

Buracos negros

 

 

 

 

O que nos une é não nos entendermos

tu aí eu aqui – nossa via é diferente:

O teu já-foi o meu ainda-há-de ser

são dois buracos negros no presente

que é nosso como o sonho antes do dia

quando sabemos já que estamos a sonhar

e que connosco brinca um pouco ao vento

até aqui e ali cada um se encontrar.

 

Heller Wahnsinn

 

 

 

Die Liebe ist kein Engelchen mit Flügeln,
kein dicker Säugling der mit Pfeilchen schiesst;
die Liebe ist ein Engel von vielen,
die Gottes Rache aus dem Himmel sties


als sie wie er sein wollte: schön und
grausam blind und allmächtig, nicht

von dieser Welt zeigt sie seither

in immer neuen Bildern das Gesicht


des Würgeengels der nach seiner Peitsche

die Herzen tanzen läßt bis er zuletzt

die Taumelnden Gefallenen zu fällen
den Fuss auf ihre armen Kehlen setzt,

 

und dort verharrt, sich auf dem Absatz

wendet sorgfältig, ohne Eile, hin und her.
Mitunter soll es glücken zu entkommen

der Freispruch heisst: ICH LIEBE DICH NICHT MEHR!!!

Clara loucura

 

 

 

 

O amor não é um anjinho com asas

nem Cupido roliço a atirar dardos

o amor é um anjo de entre muitos

que a ira de Deus baniu dos céus estrelados

 

quando como Ele quis ser esse amor: belo

cruel e cego e todo poderoso não

deste mundo desde então ele mostra

o semblante em constante mutação

 

do anjo exterminador que faz dançar

ao som do chicote os corações até

que para abater os fracos e caídos

sobre o pescoço lhes assenta o pé

 

e aí fica girando no tacão

para lá para cá sem pressas com rigor

Um ao outro lá conseguem escapar

E a senha é: Já te não tenho amor.

Traduções de João Barrento, extraídas de "A sede entre os limites", Relógio d'Água, 1992

 

 

 
 
 
Wer ist das?
fragen meine Freunde
und deuten auf das Foto
des Mannes über meinem Schreibtisch
zwischen Salvador Allende
und Angela Davis.
Ich sage:
Mein Vater. Tot.
Dann fragt niemand weiter.
 
 
Wer ist das?
frage ich den Mann,
der nicht einmal
für das Paßfoto lächelt,
der an mir vorbeischaut
wie beim Grüßen
an Menschen,
die er nicht mochte.
 
 
Bauernkind, eines von Zwölf,
und mit elf von der Schule;
hatte ausgelernt,
mit geducktem Kopf nach
oben zu sehen.
Ist krumm geworden
als Arbeiter an der Maschine
und als Soldat
verführt gegen die Roten.
 
 
Nachher noch einmal:
geglaubt, nicht begriffen.
Aber weitergemacht.
Als Arbeiter an der Maschine
als Vater in der Familie
und sonntags in die Kirche
wegen der Frau
und der Leute im Dorf
 
 
Den hab ich gehaßt.
 
 
Abends, wenn er aus der Fabrik
nach Hause kam,
schrie ich ihm entgegen
Vokabeln, Latein, Englisch.
Am Tisch bei Professors,
als mir der Tee
aus zitternden Händen
auf die Knie tropfte,
hab ich Witze gestammelt
über Tatzen,
die nach Maschinenöl stinken.
 
 
Hab das Glauben verlernt mit Mühe.
Hab begreifen gelernt und begriffen:
 
 
Den will ich lieben
bis in den Tod
all derer,
die schuld sind
an seinem Leben
und meinem Haß.
 
 
Manchmal,
da lag schon die Decke
auf seinen Knien
im Rollstuhl,
nahm er meine Hand,
hat sie abgemessen
mit Fingern und Blicken
und mich gefragt,
wie ich sie damit machen will,
die neue Welt.
 
 
Mit Dir,
hab ich gesagt
und meine Faust
geballt in der seinen.
 
 
Da machten wir die Zeit
zu der unseren,
als ich ein Sechstel
der Erde ihm
rot auf den Tisch hinzählte
und er es stückweis
und bedächtig
für bare Münze
und für sich nahm.
 
 

Wer ist das?

fragen meine Freunde

und ich sage:

Einer von uns.

Nur der Fotograf

hat vergessen,

daß er mich anschaut

und lacht.

 

 

1974

Ulla Hahn, Liebesgedichte, DVA, Stuttgart, 1993

ISBN 3-421-06655-8

 
 
My father
 
 
Who is that?
my friends ask
and point to the photo
of the man over my desk
between Salvador Allende
and Angela Davis.
I say:
My father. Dead.
Then no one asks me more.
 
 
Who is that?
I ask the man
who does not even
smile for the passport photo,
who looks past me
as if greeting
people he
didn't like.
 
 
Farmchild, one of twelve
and at eleven quit school
had learned
to look up
with a bowed head.
Became bent over
As a worker at a machine
and as a soldier
misled into fighting against the Reds
 
 
Afterwards another time:
believed didn't understand.
But went on
as a father at the machine
as a father in the family
and Sundays in Church
thanks to his wife
and the people of the village.
 
 
I hated him.
 
 
In the evenings when he came home
from the factory
I yelled vocabulary words at him
Latin, English.
At the table in the homes of Professors
when the tea dripped
from my trembling hands
onto my knees
I made jokes
about the paws
that reek of machine oil.
 
 
It was hard to unlearn my faith
I learned to grasp and grasped
 
 
That's the one I want to love
unto death
all those
who bear the guilt
for his life
and for my hate
 
 
Sometimes,
(the blanket was already
over his knees
in the wheelchair)
he took my hand.
measured it
with fingers and glances
and asked me
how I expected to use it to create
the new world.
 
 
With You,
I said
and held my fist
clenched in his.
 
 
Then we made time
our own
when I counted out for him
one sixth of the earth
red on the table
and he took it
for himself
piece by piece
and methodically

at face value

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wartende

 

 

Sie sitz an einem Tisch für zwei Personen

allein mit diesem wachen starren Blick

schaut sie umher als hätte sie was verloren

und hält sich fest an einem Buch: Ihr Strick

 

 

der sie herauszieht aus den Augenpaaren

die nach ihr züngeln mitleidlos und spitz

wie Wellen über ihr zusammenschlagen

sie niederdrücken auf den Plastiksitz

 

 

der unter ihren Schenkeln klebt. Sie schwenkt

ihr Glas das Eis schmilzt klirrend schneller

sie selbst wird immer kleiner und versänk

 

 

gern als Erfindung in ihr Buch

das sie nun zuschlägt. Eh sie auftaucht

zahlt und geht. Es ist genug.

 

 

 

 

DONNA IN ATTESA

 

Seduta a un tavolo per due

sola con quello sguardo vigile

e fisso

scruta attorno

come se avesse perso qualcosa

aggrappandosi a un libro:

è il laccio

che la sottrae agli occhi

che in coppia

le guizzano intorno

aguzzi e spietati

come ondate

si rovesciano su di lei

abbattendola

sulla sedia di plastica

che le s'incolla sotto le cosce.

Lei agita

il bicchiere di ghiaccio

si scioglie

in repentino tintinnio

lei stessa si fa sempre

più piccola e vorrebbe

sprofondare come un'invenzione

nel romanzo

che ora chiude.

Prima di riemergere

pagare e andarsene.

Questo basta.