8-1-2005

 

 

ALMA MAHLER - GROPIUS - WERFEL

(1879 - 1964)

 

FRANKFURTER RUNDSCHAU

Dokument erstellt am 18.08.2004 um 17:48:24 Uhr
Erscheinungsdatum 19.08.2004

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19-8-2004

Das dramatische Talent

Oliver Hilmes zeigt die Hysterikerin Alma Mahler-Werfel auf und hinter ihrer Bühne

VON KATHARINA RUTSCHKY

Oliver Hilmes: Witwe im Wahn. Das Leben der Alma Mahler-Werfel.Siedler Verlag, München 2004, 477 Seiten, 24 Euro

Die knappste Auskunft über diese als Muse, Femme fatale und begnadete Gastgeberin, aber auch als egoistisches und antisemitisches Monstrum in der Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts berüchtigte Frau aus Wien liefert eine Szene aus dem Jahr 1963. Thilo Koch, damals ARD-Korrespondent in New York, war ihr Zeuge. Er besuchte die damals 84-jährige Alma Mahler-Werfel in ihrem letzten Domizil. Er wurde empfangen von einer alten Frau, die sich offenbar tagelang auf ihren Auftritt vorbereitet hatte und sich auf ihren Ruhm und ihr Wissen als intime Zeugin der Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts verlassen wollte.

Das New Yorker Appartement unterlag am hellen Tag einer sorgfältigen Lichtregie. Mahler-Werfel hatte sich geschminkt, parfümiert und im Halbdunkel platziert, im verzweifelten Verlangen nach einem großen Auftritt. Es dauerte eine Weile, ehe der ehrfürchtige Koch realisierte, dass sein Gegenüber taub war, Fragen nicht beantwortete, sondern einen Text abspulte, den sie sich ausgedacht hatte. Ein Leben lang hatte Mahler-Werfel mit allen, aber auch allen Mitteln um Aufmerksamkeit für ihre Person gekämpft und jeden trouble, deren sie viele zu erzeugen wusste, als Lebenselixier genossen. Backstage kompensierte sie seit Jahrzehnten allerdings mit wenigstens einer Flasche Bénédictine pro Tag die Leere einer hysterischen Existenz.

Wenige Jahre zuvor erst hatte Willy Haas als Ghostwriter Alma Mahler-Werfels Erinnerungen für das Publikum präpariert. Diesem alten Hasen war es endlich gelungen, die Lebensgeschichte von Alma Schindler, verheiratete Mahler, Gropius und Werfel, der Geliebten von Kokoschka und Alexander Zemlinsky, aber auch eines dem Austrofaschismus zugeneigten katholischen Priesters (um nur einige zu nennen) so aufzubereiten und zu säubern, dass am Ende nichts übrig blieb, als eine pikante Sideshow auf die Kunst- und Musikgeschichte des 20.Jahrhunderts.

Witwen berühmter Männer, und schon solche mit einem wilden Liebesleben, sind immer ein Fressen fürs Publikum, das es liebt, auch einmal Kulturheroen im allzumenschlichen Alltag mit heruntergelassenen Hosen zu sehen. Alma Mahler-Werfels Lebenserinnerungen, zuerst 1960 erschienen, befriedigten alle Bedürfnisse des Publikums nach Tratsch und Klatsch auf hohem Niveau. Die Frau selbst erschien sowohl als ein Muster patriarchalisch verfügter Einengung, konnte aber mit ihrem unbürgerlichen Beziehungsleben auch Punkte als Heldin der späteren Frauenbewegung sammeln.

 
 

Mahler, der erste Ehemann, hatte ihr aus Konkurrenzgründen das Komponieren untersagt und beanspruchte sie als Stütze in seinem pedantisch ganz auf seine Arbeit ausgerichteten Leben. Dass mit Mahlers Verbot eine Musikerin und Komponistin verhindert wurde, behaupteten spätere Forscherinnen. Den zahlreichen Leserinnen ihrer Erinnerungen imponierte eine interessante Frau, die ein großes Leben geführt und auf Augenhöhe Umgang mit Dutzenden von Geistesgrößen gehabt hatte.

Inszenierungen der Liebe

Die Verdienste von Oliver Hilmes neuer und für lange Zeit verbindlicher Biographie von Alma Mahler-Werfel sind zahlreich. Wer sich mit dieser Frau beschäftigen will, ist gut beraten, ihre von Willy Haas bearbeiteten Erinnerungen nicht mehr zu lesen, sondern auf dieses Buch zurückzugreifen. Das gilt für Kunst- und Sozialhistoriker genauso wie für Frauenforscherinnen, die sich für die Hysterie und andere Charakterformungen weiblichen Lebens, ihren Chancen und Misserfolgen in der Moderne interessieren.

Das sorgfältig recherchierte und unter Berücksichtigung des Nachlasses spannend geschriebene Buch ist aber auch dazu angetan, die Sphäre von Klatsch und Tratsch und Sensation, in denen berühmte Witwen und andere Nebenfiguren der Kulturgeschichte so oft angesiedelt sind, unter sich zu lassen und auf ein gescheites und anregendes Niveau zu heben. Das gelingt Hilmes durch eine präzise und aufgeklärte, undogmatische und intelligente Erzählweise. Er berichtet, wertet aber nicht, wie es sich für einen Biographen gehört, dessen Ziel es sein muss, ohne alle Beschönigungen, aber auch ohne Besserwisserei ein Leben zum Nutzen der Nachwelt so gerecht und richtig wie möglich zu überliefern.

Die Bewunderinnen von Alma Schindler, verheiratete Mahler, Gropius und Werfel und Leserinnen ihrer Erinnerungen werden staunen. Ihr Sexualleben beweist nicht ihren instinktiven Widerstand gegen eine überholte, für Frauen besonders einengende Moral, sondern ihr Bedürfnis nach dramatischen Inszenierungen mit ihr selbst im Mittelpunkt. Sie war im Nebenzimmer, während der junge Gropius, mit dem sie während einer ihrer vielen Kuraufenthalte ein Verhältnis angefangen hatte, sich mit Mahler zu einer Auseinandersetzung verpflichtet fühlte. Die Liebe, an die die Männer leidenschaftlich glaubten und für die sie jedes Opfer bringen wollten, langweilte sie immer schnell.

Ihre Kinder interessierten sie nicht. Sie war eine miserable Mutter, mal kühl und desinteressiert, mal dumm und unfähig. Das langsame Sterben an Kinderlähmung einer Tochter inszenierte sie als heiliges Mysterium - immer wieder auf der Suche nach den starken Empfindungen, die eine Hysterika braucht, um sich lebendig zu fühlen und ihre innere Leere zu füllen. Als solche hatte sie ein großes Talent, männliche Mitspieler zum Drama zu verlocken, aber keins, selber glücklich zu werden.

Sieht man Mahler-Werfel als Hysterika, erscheint auch ihr Antisemitismus nebst anderen politischen Dummheiten in milderem Licht. Noch im Emigrantenmilieu in Amerika sonderte sie einschlägige Tiraden ab - und ging dann zufrieden ob des Aufsehens, das sie erregt hatte, zum geselligen Teil über, als wäre nichts geschehen. Die Biographie von Oliver Hilmes führt uns die Hysterie als eine teure Lebensform vor. Teuer für die verführten Männer - viel teurer für Alma Schindler.
 

An excellent review of this book in the London Review of Books, here

 

TAGESSPIEGEL

25.07.2004

Meine Männer müssen heller werden
 

Die Frau als Monster: eine verstörende Biografie über Alma Mahler-Werfel
 

Als es einsam wurde um Alma Mahler-Werfel, wagte die grande veuve eine letzte Inszenierung. Der Nachwelt wollte die Witwe von Mahler und Werfel, geschiedene Gropius, als eine Frau in der Erinnerung bleiben, die sich bis zur Selbstaufgabe geopfert hatte – den Männern und der Kunst – und so einem düsteren Jahrhundert das Licht brachte. Aus Almas Memoiren sollte ein JugendstilMusen-Tempel entstehen. Doch die angeheuerten Ghostwriter scheiterten. Ihre Auftraggeberin konnte für die Wahrheit nur wenig Begeisterung aufbringen, die Aufzeichnungen des einstmals „schönsten Mädchens von Wien“ klirrten vor Kälte und Antisemitismus. Schließlich ließ Alma in einer glättenden Zusammenstellung ihres Lebens „die ganze Judenfrage in die Versenkung verschwinden“. Was übrig blieb, waren Anekdoten einer sinnlichen Sirene, die sich Anfang der Sechzigerjahre reißend verkauften – als schwer parfümierter Edelporno im Intellektuellenmilieu.

Während Alma heute noch als größte Femme Fatale des 20. Jahrhunderts gepriesen wird und ein ihr gewidmetes Musical demnächst in Hollywood Premiere feiert, wagt Oliver Hilmes, der üppigen Circe den Schleier zu entwinden (Witwe im Wahn, Siedler Verlag, 480 S., 24 €).
Der junge Historiker stieß in Philadelphia auf den weitgehend unerforschten Nachlass Alma Mahler-Werfels, die 1964 in New York gestorben war. In Archivkartons fanden sich auch verschollen geglaubte Tagebücher, die Alma selbst nur in entschärfter Form in ihre Memoiren einfließen ließ. Wer sie aufschlägt, ist verstört.

Von innerer Leere getrieben, schickt Alma sich an, die Welt der Männer zu unterwerfen. „Sie hat ein unglaubliches Talent gehabt, Sklaven zu machen“, nennt das ihre Tochter Anna. Wer sich dem erotisch verbrämten Angriffskrieg entzog, galt fortan als Feind. Ihre erste Witwenschaft mit 32 Jahren nutzte Alma geschickt, um ihre gesellschaftliche Stellung zu festigen. Mahler hatte sich nicht in die Salons gedrängt, sein inneres Feuer brauchte keine Funken stiebenden Bewunderer. Alma dagegen war auf der Suche und verübelte Mahler seine Unabhängigkeit. Sie setzte den Mythos in die Welt, er habe ihr das Komponieren verboten. Das brachte ihr später Beachtung durch feministische Musikseminare ein, war aber eine Lüge, wie Hilmes beweist.

Wild erscheint bei Alma vor allem ihr Antisemitismus, der sie nicht davon abhielt, Juden zu Liebhabern oder Ehemännern zu machen. Im Gegenteil. Sie, das große, helle, arische Weib – ihre Männer kleine, hässliche, dunkle Juden. Alma hatte ihre Mission gefunden: „Hellermachen“ war ihr Ziel, Unterwerfung ihr Weg. Sie forderte von Werfel die Abkehr von seinem Glauben, paktierte mit dem Austrofaschismus, sah in Hitler „eine Art Luther“ und ging doch ins Exil: „Ich werde jetzt mit einem artfremden Volk bis an Ende der Welt wandern müssen.“ Alma, so legt Hilmes nahe, verpasste Werfel nach dessen Tod 1945 auch die katholische Taufe. Ein letzter Sieg.

Trotzdem gingen die Exilintellektuellen bei Alma ein und aus. Auch Thomas Mann ließ sich gerne von ihr abspeisen, mit Rebhühnern. Nach einer Dinnerparty bei Alma notierte er in sein Tagebuch: „Unsinn. Aß und trank zuviel.“ Die Hausherrin verschwand gerne in Nebeln aus Champagner und Benedictine. Nach der Lektüre von Hilmes' erfrischend kühler Biografie sind die Sinne schlagartig klar und Alma taucht auf: so monströs wie ihr Jahrhundert.
Ulrich Amling

 

Berliner Literatur kritik

Hysterische Witwe
Alma Mahler-Werfel in einer neuen Biographie von Oliver Hilmes
Die Berliner Literaturkritik, 19.08.04

HILMES, OLIVER: Witwe im Wahn. Das Leben der Alma Mahler-Werfel. Siedler Verlag, München 2004. 477 S., 24 €.
 

FRANKFURT (BLK) -- Wer sich mit Alma Mahler-Werfel - ambitionierte Muse vieler berühmter Geistesgrößen und süchtig nach dramatischen Selbstinszenierungen - beschäftigen wolle, sollte auf die neue Biographie aus der Feder von Oliver Hilmes zurückgreifen, empfiehlt die „Frankfurter Rundschau“.

Verheiratet mit Gustav Mahler, Walter Gropius und Franz Werfel, habe Alma Mahler-Werfel ein aufregendes Leben geführt und Umgang mit vielen Berühmtheiten des 20. Jahrhunderts gepflegt. Die Erkenntnisse Hilmes’ über charakterliche Eigenarten der für ihre Liebesaffären berüchtigten Frau würden einige Leser sicher in Erstaunen versetzen. Mahler-Werfels Sexualleben - von der Frauenbewegung häufig als Widerstand gegen überholte Moralvorstellungen gedeutet - entpuppe sich tatsächlich als das existenzielle Bedürfnis, ihre eigene Person in den Mittelpunkt des allgemeinen Interesses zu stellen - koste es, was es wolle.

Oliver Hilmes’ Biographie überzeuge durch ihre objektive, „präzise und intelligente“ Erzählweise, lobt der Rezensent. Das sorgfältig recherchierte und spannend geschriebene Buch lasse Klatsch, Tratsch und Sensationslust hinter sich und besteche vielmehr durch sein „gescheites und anregendes Niveau“.

 

 

  L I T E R A T U R H A U S

                                                                     WIEN

   

 

Venus im Öl

BIOGRAFIE  Männerschwarm und Muse, Alkoholikerin und Antisemitin: Alma Mahler war noch schlimmer als ihr Ruf. Zu diesem Ergebnis kommen neue Biografien über sie und ihre Tochter Anna, die heuer hundert Jahre alt geworden wäre.

MATTHIAS DUSINI

Oliver Hilmes: Witwe im Wahn. Das Leben der Alma Mahler-Werfel. München 2004 (Siedler). 477 S., EUR 27,40
Barbara Weidle, Ursula Seeber (Hg.): Anna Mahler. Ich bin in mir selbst zu Hause. Bonn 2004 (Weidle). 239 S., EUR 25,80
 

"Wozu schlafen, wozu wachen. Ob man nun säuft, frisst, vögelt oder krampfig-asketisch Werke-Werte schafft, alles ist gleich." Diese düsteren Gedanken vertraut Alma Mahler am 16.4.1939 im Pariser Exil ihrem Tagebuch an. Ihre Ehe mit dem jüdischen Schriftsteller Franz Werfel ist zerrüttet ("die Rassenfremdheit ist unüberbrückbar"). Aber obwohl Adolf Hitler der sechzigjährigen Wiener Salonlöwin als "Genie an der Spitze eines großen Volkes" erscheint und sie dem Diktator und Bruckner-Fan gerne die Partitur von dessen dritter Sinfonie verhökern möchte, entschied sie sich zur Emigration. Die Josef-Hofmann-Villa auf der Hohen Warte, das Haus in Venedig, der geliebte Priester Johannes Hollnsteiner, das alles lässt sie zurück und folgt dem Bestsellerautor Werfel in das vom Krieg bedrohte Frankreich. "Sie hatte Angst vor dem, was gekommen wäre, wenn sie Werfel verlassen hätte", erklärt der Biograf Oliver Hilmes (siehe Interview im Falter 33/04) Almas paradoxe Entscheidung für ein Leben inmitten des "jüdischen-kommunistischen Klüngels" (Alma).

Was dieses intime Geständnis bei aller Melancholie aber auch vermittelt, ist das unverblümte Bekenntnis Mahler-Werfels zu den elementaren Dingen des Lebens. Die asketische Abgeschiedenheit einer Künstlerexistenz war ihre Sache nicht, das Saufen und Vögeln schon eher. Die schwergewichtige, leidenschaftliche Trinkerin des Kräuterlikörs Benediktiner, einst als schönstes Mädchen Wiens berühmt, hinterließ bei ihrem Tod vor vierzig Jahren in New York zwar einige Kompositionen, zur Ikone des zwanzigsten Jahrhunderts aber war sie durch ihr Sexleben geworden. Ihr Ruf als Schlampe der Wiener Moderne wäre längst verhallt, hätten ihre Liebhaber und Ehemänner nicht zu den bekanntesten Künstlern des vergangenen Jahrhunderts gezählt. In der neuen Alma-Biografie des deutschen Historikers Oliver Hilmes - es ist die bisher sechste - umfasst die Liste prominenter Zeitgenossen, die Alma Mahler-Werfels Wege und teilweise auch ihre Betten kreuzten, eine ganze Buchseite. Die Biografie befriedigt die voyeuristischen Bedürfnisse einer versauten Gossip-Leserschaft und rechtfertigt den Blick unter die Tuchent mit dem kulturhistorischen Kaliber der darunter Gebetteten.
"In der bürgerlich verklemmten Gesellschaft der Jahrhundertwende war es schon etwa Besonderes, wenn eine Frau derart erotisch ungeniert in den Vordergrund tritt", erklärt die Historikerin Brigitte Hamann die Faszination, die zu Lebzeiten von Alma ausging. "Wie wenige Frauen haben weniger als fünf Liebhaber gehabt", relativiert Johannes Trentini, 94, am Telefon eines Innsbrucker Altersheims, Almas Promiskuität. Er nennt Alma seine Ersatzmutter, schildert sie als geistreiche, empfindsame Frau, die "Männer animiert hat, das Schöpferische auszunutzen".
Präsent ist Alma zurzeit durch das seit 1996 alljährlich aufgeführte Polydrama "Alma - A Show Biz ans Ende" von Joshua Sobols in der Regie von Paulus Manker. Nach Wien, Venedig und Lissabon macht das Stück derzeit an Mahler-Werfels vorletztem Wohnort Los Angeles Station. Für die anhaltende Popularität der Figur sorgte die 1960 erschienene und sehr erfolgreiche Autobiografie, in der sich die Wienerin zur aufopfernden Muse stilisiert, die zugunsten ihrer Männer auf eine eigene künstlerische Karriere verzichtet. Dieses Bild wird von Hilmes korrigiert, der auf unbekannte Textquellen, vor allem aber auf bisher unveröffentlichte Tagebücher zurückgreift.

Als Alma den um 19 Jahre älteren Hofoperndirektor Gustav Mahler kennen lernt, ist sie 22 Jahre alt und Kompositionsschülerin von Alexander von Zemlinsky. Eine Liebesgeschichte mit Mahler beginnt. Bald darauf schreibt ihr dieser einen Brief, in dem er Alma mitteilt, keine Konkurrenz im eigenen Haus zu dulden. Gleichzeitig stellt er es ihr aber frei, die Beziehung zu beenden, sollte sie auf ihre Arbeit nicht verzichten wollen. "Ich habe das Gefühl, als hätte man mir mit kalter Faust das Herz aus der Brust genommen", notiert Alma - wie immer ohne eine Spur von Ironie. Drei Monate später wird geheiratet, ein unglückliches Eheleben mit dem Workaholic beginnt. 1904 kommt ihre zweite Tochter Anna Justina zur Welt, sie wird in Elias Canettis Buch "Augenspiel" verewigt werden, die ältere stirbt 1907 an Diphtherie.

Die dreißigjährige Berufsgattin beginnt während eines Kuraufenthalts im steirischen Tobelbad eine Affäre mit dem deutschen Architekten und späteren Bauhaus-Mitbegründer Walter Gropius. Zunächst gibt es aber noch jede Menge Ärger mit dem herzkranken Gatten, der die Liebesbriefe des Zukünftigen an Alma entdeckt. Zwecks Analyse des verglommenen ehelichen Liebeslebens konsultiert Mahler Sigmund Freud, schreibt Alma überschäumende Liebesbriefe, kritzelt in die Partitur seiner 10. Symphonie wahnhafte Liebesschwüre. Alma wird sie später als Faksimile publizieren. Der Status als Mahler-Witwe ist ihr symbolisches Stammkapital. Obwohl sie Mahler um 53 Jahre überlebt, schreibt sie keine Note mehr.

Als der weltberühmte Komponist 1911 begraben wird, ist Alma 32, attraktiv, reich, die Männer stehen Schlange. Der junge Maler Oskar Kokoschka hätte ohne sie einige seiner besten Bildern nicht gemalt. Nach dem Ende der Affäre wird er sich in Dresden eine Puppe als Alma-Substitut anfertigen lassen, die er modisch einkleidet, an sonnigen Tagen spazieren fährt und der er später während eines Gartenfestes den Kopf abhackt.
Alma heiratet Walter Gropius, findet es aber ausgesprochen unheldisch, dass dieser im Krieg eine Hundeschule leitet. "Mein Mann muss erstrangig sein." Ihre Briefe an die Front sind dennoch nicht frei von Demut: "Das erste Mal, wenn wir uns wieder sehen, werde ich an dir zu Boden sinken, auf Knien bleiben, kniend dich bitten, mir mit deinen Händen das heilige Glied in den Mund zu stecken." Das gemeinsame, früh an Kinderlähmung verstorbene Kind Manon wird zum idealisierten Liebesobjekt der umtriebigen Mutter. Alban Berg widmet ihr sein Violinkonzert mit den Worten: "Dem Andenken eines Engels." Noch vor Kriegsende tritt jener Mann in ihr Leben, mit dem Alma am längsten zusammen sein wird: der 27-jährige Autor Franz Werfel. "Werfel ist ein O-beiniger, fetter Jude mit wülstigen Lippen und schwimmenden Schlitzaugen! Aber er gewinnt, je mehr er sich gibt." Sie beginnt eine Affäre mit dem Autor, aus der ebenfalls ein Kind hervorgeht, das bald nach der Geburt stirbt und diese überhaupt nur mit knapper Not noch erlebt, löst der heftige Sex mit Werfel im Sommerhaus in Breitenstein (Gropius saß gerade in einem Militärzug) doch starke Blutungen aus. Werfel im Tagebuch: "Wir liebten uns! Ich schonte sie nicht!"
"Die Frau als Hure war das Ideal der Wiener Moderne. Dass eine Frau den Spieß umdreht und das Heft in die Hand nimmt, war die Provokation", erklärt Brigitte Hamann. Abtreibungen, Fehlgeburten, der frühe Tod mehrerer Kinder sind die tragische Seite dieser frühen Version von "Sex and the City". Durch ihr Kommunikationstalent ist Alma Mahler das, was die Netzwerktheorie einen Hub nennt: ein Knotenpunkt des kulturellen Feldes. Als Frau von offiziellen Machtpositionen ausgeschlossen, bediente sie die Schalthebel des Kulturbetriebs inoffiziell von ihrem Salon aus. Almas mit Begehren gepaarte Boshaftigkeit macht sie zur spannenden Figur einer kulturgeschichtlichen Soap-Opera. Wenn die Gesellschaftskritik misogyner Asketen wie Adolf Loos oder Karl Kraus ein Gesicht gehabt hätte, wäre es dem Almas sehr ähnlich gewesen.

Angesichts der schwierigen Persönlichkeitsstruktur ihrer "Tiger-Mami" hat Anna, deren Geburtstag sich heuer zum hundertsten Mal jährt, das Beste aus ihrem Leben gemacht. "Sie bestand aus Augen, was immer sonst man in ihr sah, war Illusion", beschreibt der Schriftsteller Elias Canetti in seiner Autobiografie die Tochter von Alma und Gustav Mahler. Auch der Titel des Buches "Das Augenspiel" bezieht sich auf jene schönen, großen Sehorgane, denen der damals unbekannte Twentysomething verfiel.
Die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz arbeitete das Leben der 1988 in London verstorbenen Bildhauerin in ihren Roman "Nachwelt" (1999) ein. Streeruwitz schickt die Romanfigur Margarethe nach Los Angeles, um mit Zeitzeugen über Anna zu sprechen. Dabei verschwimmt die Recherche mit der persönlichen Situation der Biografin, ein Kunstgriff, der den Objektivitätsanspruch historisch-biografischen Schreibens relativiert.
Eine Ausstellung und ein Buch der Österreichischen Exilbibliothek versuchen nun, das Werk der Wotruba-Schülerin zu würdigen, wobei auch dies außerhalb des biografischen Zusammenhangs unmöglich ist. Als Künstlerin war Anna mäßig erfolgreich. Die meisten ihrer frühen Porträtköpfe, die im Atelier gegenüber der Staatsoper entstanden, wurden im Krieg zerstört. Einer ihrer typischen stilisiert-figurativen Marmorakte ist auf Fotos des Österreich-Pavillons der Pariser Weltausstellung von 1938 zu sehen. "Die Stehende" (1938) stand vor der von Oswald Haerdtl entworfenen Glasfassade wohl auch deshalb, weil die Künstlerin über gute Kontakte zu den Kulturpolitikern des Ständestaates verfügte. Beeindruckend an Anna Mahlers Werk ist weniger dessen ästhetische Eigenwilligkeit als die Kraft, mit der sie sich den Weg an den übermächtigen Eltern vorbei freimeißelt.

Bereits mit 16 heiratet sie den unbekannten Musiker Rupert Koller, den sie nach wenigen Monaten verlässt. Als Zwanzigjährige gibt sie dann dem jungen Komponisten Ernst Krenek ihr Jawort, den ihre Rabenmutter unverschämterweise bittet, er möge doch Skizzen von Gustav Mahlers zehnter Symphonie vervollständigen. Doch der Schwiegersohn schlägt dem "prächtig aufgetakelten Schlachtschiff" (Krenek) die Bitte ab. Annas Ehemann Nummer drei ist der Verleger Paul Zsolnay, dessen Unternehmen eng mit Annas Familie verknüpft ist. Bei Zsolnay erscheint Franz Werfels erster Roman "Verdi. Roman der Oper". Dass der Roman zum Bestseller wird, ist in nicht geringem Maße Alma zu verdanken, die ihren Franzl zum Arbeiten ins Sommerfrischhaus nach Breitenstein schickt und ihm auch das Erfolgsrezept mit auf den Weg gibt: "dass das Buch so gut sein müsse, wie nur irgendeiner von ‚diesen Klassikern', sich aber zugleich zum Verkauf an den Zeitungsständern der Bahnhöfe eignen solle". Für die Veröffentlichung der intimen Briefe Gustav Mahlers handelt sich Alma lukrative Sonderkonditionen aus.

Entscheidender als ihre beiden weiteren Ehen (mit dem Dirigenten und Komponisten Anatole Fistoulari und dem amerikanischen Regisseur und Filmcutter Albrecht Joseph) ist Almas Affäre mit dem Unterrichtsminister und späteren Bundeskanzler Kurt von Schuschnigg, die erst endet, als Schuschniggs Frau Herma bei einem Autounfall ums Leben kommt und Kurts katholisches Gewissen sich zu regen beginnt. Derweilen hatte Alma ihre Villa auf der Hohen Warte längst zum Salon des Ständestaates gemacht.

Durch ihren aktuellen Liebhaber, den Theologieprofessor Johannes Hollnsteiner, der sich nur im Talar an das Zölibat gebunden sah, möchte sie ihren Bekanntenkreis ein wenig "ajudifizieren". Ihren Gatten weiß sie zu beruhigen: "Ach, Franzl, weißt du, eine Frau kann in vielen Kirchen beten." Über Hollnsteiner hat Alma Einfluss auf kulturpolitische Entscheidungen. Dem Staatsoperndirektor Felix Weingartner wird seine Geringschätzung Gustav Mahlers zum Verhängnis; ihm wird ein Rücktritt "aus gesundheitlichen Gründen nahegelegt". Ihre bereits im Rollstuhl sitzende Tochter Manon verlobt Alma mit einem jungen Streber aus dem katholischen Politklüngel. Noch Jahre später bezeichnete sie Manon als ihre "einzige Tochter". Die anderen zwei seien "halt Mischlinge". So endet jede Geschichte über Anna mit Alma.


 

Artikel erschienen am Sa, 16. Oktober 2004

Wild, blond, gewalttätig, saufend

Oliver Hilmes schildert das Leben von Alma Mahler-Werfel, und Anna Mahler erinnert sich an ihre Tigermami

von Ulrich Weinzierl

Oliver Hilmes: Witwe im Wahn. Das Leben der Alma Mahler-Werfel. Siedler, Berlin. 478 S., 24 EUR. Barbara Weidle und Ursula Seeber (Hg.): Anna Mahler. Ich bin in mir selbst zu Hause. Weidle, Bonn. 240 S., 25 EUR.

 

Was soll man zu diesem Weib sagen? Die, denen die Spucke nicht wegblieb, bespieen sie. Die anderen erlagen restlos ihrem Charme. Jedenfalls sprengte sie jeden Rahmen. Als biedere Künstlerwitwe war sie zu glamourös; als begnadete Antisemitin, die mit Vorliebe Juden ehelichte, zu exzentrisch; als Unterleib ohne Dame zu ordinär. Alma Mahler-Gropius-Werfel, geborene Schindler, ist ein Jahrhundertereignis gewesen. Sie sammelte Genies wie Normalsterbliche Briefmarken. Eine Anekdote berichtet vom Albtraum des Schriftstellers Hermann Broch: Dreimal befahl ihm die Stimme des Herrn, die Vielgeliebte zu heiraten, er weigerte sich standhaft. "Der Herr, aufseufzend: "Dann bleibt nur eines. Ich muß es selber tun.'"

Kein Wunder, daß sie - deren Memoiren ("Mein Leben") zu den verlogensten der Weltliteratur zählen - seit langem schon ein gefundenes Fressen für Biografen ist. In diesem Genre hat sie es nicht zuletzt zur unverstandenen und unterdrückten Komponistin gebracht sowie zur Vorkämpferin eines emanzipierten Frauenbildes. Wer über sie, auch und gerade als Nachgeborener, schrieb, der konnte sich in der Regel ihrer Faszinationskraft nicht entziehen. Oliver Hilmes, dem wir ihr jüngstes Porträt - "Witwe im Wahn" - verdanken, ist die Ausnahme. Und das hat seinen guten Grund: Er wertete jene Quellen aus, die unbeachtet in einer amerikanischen Universitätsbibliothek verwahrt sind: vor allem das unzensurierte Tagebuch, das ihr abstruses Rassendenken ebenso bloßlegt wie ihre Schwärmerei für Diktatoren von Mussolini bis Hitler. Zusätzlich konnte der Autor den bis dato gesperrten Briefwechsel zwischen Alma und Oskar Kokoschka benützen.

Keine angenehme Zeitgenossin, gewiß. Für Adorno war sie schlichtweg "das Monstrum", für Richard Strauss ein "liederliches Weib". Claire Goll, ebenfalls ein Schandmaul, meinte giftig: "Diese aufgequollene Walküre trank wie ein Loch." Und der greise Gerhart Hauptmann, den die auch nicht mehr taufrische Alma mit einem Zungenkuß verwöhnte, bezeichnete sie als "eine tolle Madame", worin Respekt vor der Ehrbarkeit einer Puffmutter mitschwingt.

Oliver Hilmes findet Alma offenbar besonders unsympathisch - vielleicht weil er sich auf die meist ausgeblendeten oder verniedlichten Schattenseiten ihres Charakters konzentriert. So entsteht etwas wie die Schreckensvision einer Männchen verzehrenden Gottesanbeterin. Der erste Liebhaber der Tochter des renommierten Landschaftsmalers Emil Jakob Schindler ist ihr Kompositionslehrer gewesen: Alexander von Zemlinsky. Sie stellte sich vor, "wie lächerlich" ihre Hochzeit aussehen würde: "Er so häßlich - so klein, ich so schön - so groß" und nahm alsbald von solchem Gedanken Abstand, sonst müßte sie ja "kleine degenerierte Judenkinder zur Welt bringen". Ein Jahr ertrug Zemlinsky die Demütigungen, bis es ihm endgültig reichte.

Der nächste Tonkünstler ihrer Wahl war Gustav Mahler, Hofoperndirektor, Stardirigent und Komponist: "Der Kerl besteht nur aus Sauerstoff", notierte sie nach dem Kennenlernen: "Man verbrennt sich, wenn man an ihn ankommt." Der sexuelle Vorgriff auf die Ehe, kurz nach der Verlobung, verlief indes enttäuschend. Plötzlich "verlor er alle Kraft. Erschlagen lag er an meinem Herzen - er weinte fast vor Scham". Alma hatte eine neue Herrschaftstechnik entdeckt: Gustav Mahler konnte sie nicht als häßlichen, verwachsenen Juden fertig machen, der sich ihrer arischen Schönheit unterwerfen müsse, sondern als Mann. Natürlich hatte sie es, die weitaus Jüngere, neben ihm nicht leicht: Im Schatten eines berüchtigten Arbeitstiers mit präzisester Zeiteinteilung zu leben verhieß nicht immer glückliche Stunden. Alma Mahler gebar ihrem Gemahl zwei Töchter, Maria Anna ("Putzi") und Anna Justina ("Gucki"). Der qualvolle Tod der älteren im Sommer 1907 bedeutete eine Familienkatastrophe, zumal gleichzeitig eine schwere Herzkrankheit Gustav Mahlers diagnostiziert wurde. Das Todesurteil auf Bewährung verwandelte den Hochleistungssportler in einen übervorsichtigen Hypochonder. Und dann kam Walter Gropius, der Architekt und spätere Bauhaus-Gründer, mit dem sie Mahler betrog. In seiner Verzweiflung hatte sie ihn endlich dort, wo sie ihn haben wollte: ihr zu Füßen. Gustav Mahlers besinnungslose schriftliche Liebesschwüre zählten nach seinem Tod 1911 zu ihren Lieblingstrophäen.

Nun war Alma die "grande veuve" schlechthin, eine Wiener Institution und zugleich eine der musikalischen Moderne. Ihr nächster Geniestreich trug den Namen Oskar Kokoschka. Der expressionistische "Oberwildling", der sie manisch malte, wollte von der Gebieterin seiner Sinne unbedingt geschlagen werden. Sie tat es, aber nicht gern, da sie ihre eigne Passionsregie bevorzugte. Das allgemeine Fazit ihrer einschlägigen Erfahrungen: "Je bedeutender ein Mann, desto kränker seine Sexualität." 1915 heiratete Alma Gropius, 1916 wurde die gemeinsame Tochter Manon geboren. Nichts hinderte Alma, ihren frischgebackenen Ehemann weiterhin mit Kokoschka zu hintergehen. Legitime Eifersucht beantwortete sie ungnädig: "Auf die Knie vor mir, wenn ich bitten darf!" Doch schon war ein anderer, künstlerisch hochtalentierter Geschlechtsverkehrskandidat aufgetaucht: der damals revolutionär gesonnene Lyriker Franz Werfel, in Almas Originalton "ein O-beiniger, fetter Jude mit wülstigen Lippen und schwimmenden Schlitzaugen". Walter Gropius bewährte sich als Gentleman: Er nahm die Schuld erwiesener Untreue vor Gericht auf sich, indem er sich in flagranti mit einer Prostituierten ertappen ließ - wahrlich, eine hübsche Justizposse. Jetzt war die Bahn frei für Gatten Nummer drei. Ihr "Mannkind" Werfel hatte Alma inzwischen klein gekriegt: Den Lyriker drängte sie Richtung Bestsellerroman - er gehorchte artig. Den linken Juden quälte sie mit antisemitischen Tiraden und Hymnen auf Franco bis zur Raserei. Allein, Franz Werfel vermochte nicht auszubrechen, er war ihr hörig. Naturgemäß sollte Alma auch ihm Hörner aufsetzen. Pikanterweise mit dem katholischen Priester und Theologieprofessor Johannes Hollnsteiner, der - welch praktischer Zufall - Beichtvater von Österreichs Bundeskanzler Schuschnigg war. In Almas Salon in der Werfelschen Jugendstilvilla auf der Hohen Warte gab sich die austrofaschistische High Society ihr Stelldichein. Alma Mahler-Werfel inszenierte alles und jeden, sogar das langsame Sterben von Manon Gropius an Kinderlähmung. Alban Berg hat ihr, "dem Andenken eines Engels", sein Violinkonzert gewidmet. Mit dem Dichter Werfel ging Alma, ganz "gestürzte Königin", 1938 ins Exil. Die Flucht in die USA, ausgerechnet über Lourdes, ermöglichte dem Romancier seinen größten Welterfolg: "Das Lied von Bernadette".

In Kalifornien hatte Alma, mittlerweile Mitte 60, schließlich keinen Geliebten mehr, sie tröstete sich mit "Benediktiner", ihrem Leiblikör. Bei einer Party traf sie Erich Maria Remarque, einen trinkfreudigen Herrn nach ihrem Geschmack. Es wurde freilich nur eine hochprozentige Freundschaft. Remarques erster Eindruck: "Die Frau ein wildes, blondes Weib, gewalttätig, saufend. Hat bereits Mahler unter die Erde gebracht. War mit Gropius u. Kokoschka, die ihr scheinbar entkommen sind. Werfel wird nicht. Wir soffen. Sie pfiff Werfel wie einen Hund, war stolz darauf; er kam auch." Die Prophezeiung brauchte nicht lang, um sich zu erfüllen. 1945 starb Franz Werfel an seinem dritten Herzinfarkt. Alma erschien zum Begräbnis nicht: "Ich gehe niemals zu solchen Veranstaltungen."

Ein einziges Kind hat Alma überlebt, die Bildhauerin Anna Mahler. Sie schloß immerhin fünf Ehen, darunter wenigstens eine mit einem Künstler von internationalem Rang: Ernst Krenek. Ein würdiger Sammelband mit dem Untertitel "Ich bin in mir selbst zu Hause" vergegenwärtigt ihre Leistung und ihr Schicksal. Als Almas Tochter hatte sie es schwer. Trotzdem erscheint die "Witwe im Wahn" in diesem Buch in milderem Licht. Anna Mahler nannte die Mutter halb zärtlich, halb ängstlich "Tigermami". Was für ein Scheusal! Hut ab!

 

Title
Gustav Mahler: Letters to His Wife

Author
Henry-Louis De La Grange (Editor), Antony Beaumont (Translator)

Publisher
431pp, Faber & Faber, £25

ISBN
0571212042

  

Mahler's meddling wife
(Filed: 24/10/2004)

Tom Payne reviews Gustav Mahler: Letters to His Wife.

From his childhood, Gustav Mahler's life clanged with the sound of the lofty and the banal colliding. He recalled listening to a military band, too distracted to notice he'd peed in his pants. He disrupted the singing of a cantor in the synagogue by yelling, "That's horrible!" and requesting a nursery song. It explains why he produced sublime movements in his symphonies, only to send them up in the following movement; why he makes trombones rasp and clarinets caw.

So it was with the crisis of his life. When he was preparing for the premiere of his eighth symphony – a glorious hymn to creation, unscathed by his uglifying urges – he became a cuckold.

His wife, Alma Mahler, wasn't a liar, exactly. In her version of the story, Mahler knew about Walter Gropius's devotion to her before the affair began. But her memoirs of life with Mahler are full of inaccuracies and distortions. In this edition of Mahler's letters to his wife, which includes much new material, Antony Beaumont is able to correct many of these blemishes. He is fairly courteous about the corrections and concludes that "by the time she sat down to write [her memoirs], her recollections of people, places and events had themselves parted company with reality".

But Alma's treatment of the letters shows that she could edit the truth quite actively. When she published them after Mahler's death, she suppressed a phrase or paragraph here, a postcard, telegram or whole letter there. This book prints them all. Beaumont is used to this kind of restoration: with Susanne Rode-Breymann, he managed to make magnificent sense of Alma's scrawly, doctored diaries. (They are still revealing their secrets – as we learn here, in one entry she referred to her daughters as brats, only later deciding that "children" was a better word.)

So, although we don't have Alma's letters, we can learn about her through what she decided to conceal in Mahler's. She took out the sentences in which Mahler complained she had forgotten to pack his comb or demanded to know why a manuscript hadn't reached him in the post. Sometimes it looks like she took out the boring bits.

Except that the boring bits tell their own story. Before they married – when Mahler was nearly twice Alma's age – he wrote her a long, self-conflicting but candid letter dealing with her own ambitions as a composer. On the one hand he wrote: "I don't want you to believe that I take that philistine view of marital relationships which sees a woman as some sort of diversion, with additional duties as her husband's housekeeper." On the other he told her: "The role of the `composer', the `bread-winner', is mine; yours is that of the loving partner, the sympathetic comrade." He conceded that it was a lot to ask, but Alma acquiesced.

Still, she didn't want to be remembered as Mahler's skivvy, or as a dumb beauty. She took out lines such as "If there's anything you don't understand in [Holderlin], you must ask me." These alterations might have stopped Mahler looking like a patronising nag, but one could already surmise that he was inept at handling his young, wilful spouse. When he failed to buy her a birthday present, he wrote: "What more can one give, when one has already given oneself?" Considering the sacrifices she'd made for him, you'd think a nice hat would have been a start.

The reader can make what he wants of the quotidian details that emerge from this correspondence – sometimes they're revealing, sometimes they're not. But one approach towards the book as a whole is to think of it as a Mahler symphony – it starts off with bold statements announced by a large orchestra, settles into chunks of fugues, alarms and excursions, and ends with affirmations of faith and visions of heaven. The desperate love the composer expressed in his last letters are the consequence of the strident defining of terms with which he began the marriage.

Beaumont does an excellent job of commenting on the letters. He doesn't intrude, preferring to rely on other sources to fill in the narrative rather than improvising it himself. And although the letters can only hint at their author's swings from triumph to trauma, we do at last have the whole sequence. The best way to serve Mahler is to skip nothing. As he remarked to Sibelius: "A symphony must be like the world. It must be all-embracing."

 

At home with the creator spiritus

Gustav Mahler's letters to his wife are sometimes too painful to read, writes Alan Hollinghurst

Saturday October 30, 2004
The Guardian

Letters to His Wife
by Gustav Mahler
edited by Henry-Louis de La Grange and Günther Weiss with Knud Martner
revised and translated by Antony Beaumont
431pp, Faber, £25

Gustav Mahler's letters to his wife have two distinct kinds of interest: as evidence in the story of a difficult and often unhappy marriage, and as a detailed, hour-by-hour account of the professional life of a great musician.

Letters are, of course, records of absence, and Mahler was generally apart from Alma either because he was travelling as a conductor or because he was in retreat, during the summer months, in order to compose. Whenever he went away he sent a postcard from the station before the train pulled out, and wrote to her every day at least once. He needed, as it were, to speak to her; and often briskly reproves her for not replying. In the crisis of 1910, when Alma had begun an affair with Walter Gropius, many of Mahler's letters, sometimes four a day, adoring and beseeching, covered only the short distance to the house from the composing shack at the end of the garden, where he was at work on the traumatic and never-to-be-finished Tenth Symphony.

When they married in 1902, Mahler was 41 and Alma 21. He was the director of the Vienna Court Opera, a figure both eminent and radical; his controversial reign there was to transform the production and performance of opera. Alma Schindler, the daughter of a successful landscape painter, was a budding song-composer, "the most beautiful girl in Vienna" according to Bruno Walter, and a notorious flirt. Her diaries for the years leading up to the marriage, which Antony Beaumont translated five years ago, reveal much about the inner world of a teenager exploring her sexuality ("Why am I so boundlessly licentious?") in a milieu saturated with Wagner-worship and the cult of extreme feeling.

When she fell for Mahler she was in the midst of an affair with her composition teacher, Alexander Zemlinsky, ("a dear fellow - and as ugly as sin!"): Alma was drawn to brains, and for her, sexual attraction seems often to have been mixed with feelings of repulsion - of Mahler, "I suddenly felt, with a shudder, just how ugly he is, how strongly he smells etc".

It was ominous, perhaps, that she was also repelled by his music: "his art leaves me cold, so dreadfully cold", she recorded early on; "I don't believe in him as a composer." It didn't help that Mahler had insisted on her abandoning composition as one of the conditions of the marriage, which he laid out in a terrifying letter of December 1901: "From now on you have only one profession: to make me happy!... You must surrender yourself to me unconditionally." Such a surrender, for the cause of an artist she didn't truly believe in, was to lead to her recurrent feelings of alienation, and perhaps to the nervous prostrations which befall her through much of this book. It helps to explain, too, why the soaring second subject of the Sixth Symphony's opening allegro, against which Mahler wrote the word "Alma" in the score, is also so restless and troubled.

Mahler wrote nothing but music and letters: no essay, memoir, treatise or manifesto. From the music itself we can deduce much about his feelings for Beethoven or Wagner or Bach; but the letters, and the memoirs of others, are all we have to turn to for his explicit opinions on music. Writing to Alma he makes many sharp, unguarded comments - Tosca, for example, is "a masterly sham". In the summer of 1904 he is dispiritedly reading through Brahms's chamber works, most of them mere "sterile note-spinning": "What a puny figure he cuts, and how narrow-minded... he must have turned every penny in his pocket of ideas twice over, just to scrape by!" More surprising, since Mahler had championed him and conducted the Viennese premiere of his Fifth Symphony, is the disparagement of Bruckner ("curiously mediocre"); Bruckner's agonised and sublime Ninth Symphony Mahler calls "the last word in absurdity".

The living musician who features largest in these letters is Richard Strauss. Mahler and Strauss admired each other, promoted and conducted each other's work and, when alone together, got on well enough, though Mahler felt that he would never really "come to terms with him as a person". Strauss's obsession with money repeatedly depresses the idealistic Mahler: "something cold about Strauss that has nothing to do with his talent but with his character".

Beyond the difference in temperaments, one sees Mahler measuring his much slower success as a composer against Strauss's, and cheerfully noting the moments when he seems to get ahead. But the sense of rivalry never poisons his musical enthusiasm. His plans to give Salome at the Court Opera were frustrated by the censors, but his belief in the piece, as reported to Alma, grows and grows. Seeing the premiere in Berlin he is "completely bowled over"; and in subsequent letters he defends it to her as "one of the greatest masterworks of our time".

Sadly, Mahler never writes about his own work in progress. It is only when he is describing the problems of performing the symphonies that he characterises them at all. Thus, rehearsing for the premiere of the Fifth, the most troublesome and most often revised of his works: "That scherzo is an accursed movement! It will have a long tale of woe!... How should [audiences] react to this chaos, which is constantly giving birth to new worlds and promptly destroying them again? What should they make of these primeval noises, this rushing, roaring, raging sea, these dancing stars, these ebbing, shimmering, gleaming waves?" These Romantic figures for music as a force of nature were later echoed in his letter to the conductor Willem Mengelberg about the just-completed Eighth: "Its form and content are so unusual that I find it impossible to write about them. Imagine the universe itself beginning to resound."

Mahler composed in bursts of concentrated, almost demonic, energy. There is a memorable letter of 1910 in which he justifies his total absorption in composition, and gives a unique account of the genesis of two of his works. Of the Seventh Symphony: "You weren't waiting for me at Krumpendorf... because I hadn't announced my arrival. I got into the boat to be ferried across. At the sound of oars plying through water I was suddenly inspired to the theme (or rather the rhythm and atmosphere) of the introduction to the first movement - and within four weeks the first, third and fifth movements were completely finished." Of the Eighth: "On the first morning of our summer at Maiernigg, I went up to my shack, resolved to take it easy... As I entered that all-too-familiar room, the creator spiritus took possession of me, held me in its clutches and chastised me for eight weeks, until the work was all but finished." Again artistic creation, and of a high order of complexity, is evoked not as a technical process but as an encounter with forces both natural and supernatural.

Half of the material in this book has not been published in English before; in individual letters much that Alma suppressed in her own earlier edition has been restored, though some passages she obliterated beyond recovery. It gives a large and deep picture of Mahler's personality. Just as his music is marked by shifts of register and scale, so his letters to Alma are engagingly many-voiced. There is a tone of tutorly encouragement with which he urges her to read more widely and to think more deeply ("If there's anything you don't understand in Hölderlin, you must ask me"); there are the vivid and almost instantaneous accounts of rehearsals and performances, of great historical interest; there are frequent bulletins on his migraines and bowel movements.

Moments of clownish humour and erotic tenderness are interspersed with exasperation about the things Alma has forgotten to pack (comb, nightshirt, slippers - she seems to have been a hopeless packer) and with other notes of protest or reproach so brief as to suggest a man not quite taking the measure of his own marital situation. The fervent letters of the last year, many of them containing poems, are a record of the emotional distress bordering on madness that led Mahler to his consultation with Freud in August 1910. They are almost too painful and private to read.

Alan Hollinghurst's novel The Line of Beauty (Picador) won the 2004 Man Booker Prize

The TLS Thursday 11 November 2004

Mahler and his marriage
Hugh Wood
 

GUSTAV MAHLER

Letters to his wife

Henry-Louis de La Grange and Guenther Weiss, editors

480pp. | Faber. £25. US: Cornell University Press. $40. 0 801 44340 7 | 0 571 21204 2

 

 

N Z Z  Online

Neue Zürcher Zeitung, 12. Januar 2005, Ressort Feuilleton

Femme banale

Oliver Hilmes' Biografie über Alma Mahler-Werfel

Paul Jandl

Oliver Hilmes: Witwe im Wahn. Das Leben der Alma Mahler-Werfel. Siedler-Verlag, München 2004. 478 S., Fr. 42.10.

 

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LESEPROBE

 

 

 

Masochismus 

 

Am Abend des 12. April 1912 war der 26-jährige Maler Oskar Kokoschka zu Gast im Hause Moll. Carl Moll hatte den jungen Expressionisten im Vorjahr anlässlich einer Ausstellung kennen gelernt und wollte nun seine Stieftochter Alma von ihm malen lassen. Dieser Porträtauftrag war mehr als eine freundliche Geste – er bewies durchaus Courage. Kokoschka muss auf seine Zeitgenossen verwirrend und abschreckend gewirkt haben: Er galt als Revolutionär, Exzentriker, Provokateur und zugleich als genialer Maler, dem die feine Wiener Gesellschaft verständnislos gegenüberstand. Oskar Kokoschka ist als Mann und Mensch ein höchst seltsames Gemisch, erinnerte sich Alma Jahrzehnte später. Schön angelegt, als Gestalt, stört etwas hoffnungslos Proletarisches in der Struktur. Er ist groß und schlank, aber seine Hände sind rot und schwellen oft an. Die Fingerspitzen sind so kongestioniert, dass, wenn er sich die Nägel schneidet und etwas ritzt, das Blut im Bogen wegschießt. Seine Ohren, obwohl klein und fein ziseliert, stehen vom Kopfe ab. Seine Nase ist etwas breit und schwillt leicht an. Der Mund groß und der untere Teil und das Kinn vorgebaut. Die Augen etwas schief stehend, wodurch der Ausdruck lauernd wird. Aber als solche sind die Augen schön. Das Gesicht trägt er sehr erhoben. Der Gang ist schlampig und sich nach vorne werfend. Nach dem Essen gingen Alma und Kokoschka in ein Nebenzimmer, wo sie ihm inbrünstig »Isoldes Liebestod« auf dem Klavier vorspielte und dazu sang »Wie schön sie war«, erinnerte sich Kokoschka, »wie verführerisch hinter ihrem Trauerschleier! Ich war verzaubert von ihr! Und ich hatte den Eindruck, dass ich ihr auch nicht ganz einerlei war.« Alma behauptete hingegen, Kokoschka sei vorgeprescht und habe sie plötzlich stürmisch umarmt: Diese Art der Umarmung aber war mir fremd ... Ich erwiderte sie in keiner Weise und gerade das schien auf ihn gewirkt zu haben. Wie auch immer – bereits drei Tage später hielt sie seinen ersten Liebesbrief in den Händen; es sollten insgesamt etwa vierhundert Briefe werden. Was jetzt begann, war eine ekstatische und qualvolle Amour fou, von der zahlreiche Zeichnungen, Gemälde und nicht zuletzt sieben bemalte Fächer zeugen. Alma erschien Kokoschka als strenge Herrin und Inspirationsquelle zugleich, die Lob und Tadel austeilte. »Ich weiß, dass ich verloren bin«, schrieb Kokoschka am 15. April, »wenn ich meine jetzige Lebensunklarheit weiter behalte, ich weiß, dass ich so meine Fähigkeiten verlieren werde, die ich auf ein außer mir liegendes, Ihnen und mir heiliges Ziel wenden sollte.« Alma sei die einzige Frau, die ihn vor der »Verwilderung« bewahren könne: »Wenn Sie mir als stärkendes Weib so aus der geistigen Verwirrung helfen, wird das Schöne jenseits unserer Erkenntnis, das wir verehren, Dich und mich mit Glück segnen.« Kokoschka war in seinen Gefühlsausbrüchen unberechenbar, unbezähmbar, er liebte Alma leidenschaftlich und bedingungslos, »wie ein Heide, der zu seinem Stern betet«. An anderer Stelle flehte er: »Ich muss Dich bald zur Frau haben, sonst geht meine große Begabung elend zu Grunde. Du musst mich in der Nacht wie ein Zaubertrank neu beleben [...].« Alma muss ihre heftige Leidenschaft ähnlich empfunden haben, wenngleich sie sich in der Rückschau gelassen gibt. Die drei Jahre mit ihm waren ein heftiger Liebeskampf. Niemals zuvor habe ich so viel Krampf, so viel Hölle, so viel Paradies gekostet. Alma litt von Anfang an unter Kokoschkas hemmungsloser Eifersucht, er konnte es kaum ertragen, dass sie mit anderen Menschen – insbesondere Männern – gesellschaftliche Kontakte pflegte. »Du darfst mir nicht auch nur für einen Augenblick entgleiten«, schrieb er ihr Anfang Mai 1912 in den holländischen Kurort Scheveningen, »Deine Augen müssen immer, ob Du bei mir bist oder nicht, auf mich gerichtet sein, wo Du auch seist.« Nicht selten beschimpfte und beleidigte Kokoschka Almas Besucher, oder er lauerte ihr auf und schirmte sie von allem anderen ab. Er ging des Abends spät weg, aber nicht etwa nach Hause, sondern er ging unter meinem Fenster auf und ab ... und gegen zwei, manchmal erst um vier Uhr in der Früh pfiff er und das war das von mir ersehnte Zeichen, dass er endlich fortgegangen war. Er entfernte sich mit dem tröstlichen Bewusstsein, dass kein›Kerl‹, wie er sich zart ausdrückte, zu mir gekommen war. Hatte sie dennoch einmal Besuch empfangen, machte Kokoschka ihr eine fürchterliche Szene: »Alma, ich bin um 10 Uhr vor Deinem Haus vorbeigekommen, zufällig, und hätte vor Zorn weinen können, weil Du es aushältst, Dich mit Satelliten zu umgeben, und ich wieder in den schmutzigen Winkel zurückgehe. Und wenn ich jede einzelne von den fremden, mir zuwiderlaufenden Vorstellungen aus Deinem Gehirn mit einem Messer herauskratzen müsste, würde ich es tun, bevor ich mit Dir eine erlösende Freude teile – eher verhungere ich – und Du. Ich dulde keine fremden Götter neben mir.« Kokoschkas Eifersucht war grenzenlos und richtete sich nicht nur gegen Almas Freunde und Bekannte, sondern insbesondere gegen ihren verstorbenen Ehemann. Vor der Uraufführung von Gustav Mahlers 9. Sinfonie am 26. Juni 1912 in Wien kam es zwischen Alma und Kokoschka zu einer heftigen Auseinandersetzung. »Alma, ich kann nicht in Dir zum Frieden kommen«, schrieb er ihr nach einem Probenbesuch, »solange ich einen Fremden, ob tot oder lebendig, in Dir weiß. Warum hast Du mich zu einem Totentanz eingeladen und willst, dass ich stumm stundenlang Dir zusehe, wie Du, geistiger Sklave, dem Rhythmus des Mannes gehorchst, der Dir fremd war und sein muss und mir, und wissen, dass jede Silbe des Werkes Dich aushöhlt, geistig und körperlich.« Kokoschkas Eifersucht nahm mitunter bizarre Formen an. Nach einem Tobsuchtsanfall, der wieder einmal durch Mahler beziehungsweise durch die Bedeutung, die er immer noch in Almas Leben hatte, verursacht worden war, nahm er die im Zimmer herumstehenden Fotografien des Komponisten in die Hand und küsste jedes einzelne Bild. Er meinte, es wäre weiße Magie, und er wolle dadurch seinen eifersüchtigen Hass in Liebe verkehren.

 Anfang Juli reiste Alma mit ihrer Tochter erneut nach Scheveningen, zum Ärger Oskar Kokoschkas, der bereits nach zwei Tagen ohne seine Angebetete geradezu »apathisch« war. Alma wurde von der 1875 geborenen Henriette Amalie Lieser, genannt Lilly, begleitet. Die beiden Frauen kannten sich bereits seit geraumer Zeit, Gustav Mahler hatte im Juli 1910 in einem Brief an Alma eine Frau Lieser erwähnt, offensichtlich waren sie sich aber erst nach seinem Tod näher gekommen. Alma und Lilly hatten einige Gemeinsamkeiten: Beide waren wohlhabend, reisten gerne und schätzen ein mondänes Leben. Lilly war die Tochter der schwerreichen Eheleute Albert und Fanny Landau und hatte im November 1896 den Unternehmer Justus Lieser geheiratet. Ihre beiden Töchter Hélène und Annie waren nur wenig älter als Almas Anna – auch das verband. Gelegentlich bat Alma Lilly um finanzielle Hilfe – nicht für sich selbst, sondern für Freunde und Bekannte aus ihrem Künstlerkreis. So unterstützte Lilly beispielsweise über mehrere Jahre hinweg den Komponisten Arnold Schönberg, kaufte ihm ein Harmonium oder ließ ihn in ihrem Haus in der Gloriettegasse im vornehmen Stadtteil Hietzing wohnen. Erst als Alma 1915 merkte, dass Lilly lesbische Neigungen hatte und offensichtlich um sie warb, kühlte die Freundschaft ab. Lilly verschwand ebenso plötzlich aus Almas Leben, wie sie zuvor aufgetaucht war. In den zwanziger und dreißiger Jahren war der Kontakt anscheinend völlig abgerissen, obwohl beide nach wie vor in Wien lebten. Nach Hitlers Einmarsch in Österreich wurde Lilly Liesers Vermögen »arisiert«, wie es im NS-Sprachgebrauch hieß, sie musste ihre Aktien und Immobilien verkaufen und in eine kleine Wohnung ziehen. Während ihren Töchtern die Flucht nach England und Amerika gelang, kam für Lilly jede Hilfe zu spät: Sie wurde am 11. Januar 1942 nach Riga deportiert und starb am 3. Dezember 1943 im Konzentrationslager Auschwitz. Lilly Lieser – so viel ist klar – ist eine der wenigen Frauen gewesen, die man als engere Freundin Almas bezeichnen kann.

Bei ihrem Aufenthalt in Scheveningen im Sommer 1912 traf Alma mit Joseph Fraenkel zusammen, der ihr nach wie vor den Hof machte. Ich fühlte dies nicht als Untreue, weil er schon weit weg in mir war. Ich wollte es mir nur ein letztes Mal klar machen, dass es aus war. Kokoschka wusste nichts von diesem Treffen, zwar deutete Alma gewisse Aufregungen an, gleichwohl ließ sie ihn im Unklaren. Für diese Geheimniskrämerei gab es gute Gründe. Fraenkel war für Kokoschka das rote Tuch, seine Eifersucht nahm geradezu pathologische Dimensionen an. Selbst in den intimsten Augenblicken spielte Fraenkel eine Rolle, wie sich Alma im Juni 1920 erinnerte: Oskar Kokoschka konnte nur mit den furchtbarsten Vorstellungen lieben. Da ich mich weigerte, ihn während der Liebesstunden zu schlagen, begann er damit, die entsetzlichsten Mordbilder in seinem Hirn zu ersinnen und leise vor sich hin zuflüstern. So erinnere ich mich, dass er einmal Fraenkel auf diese Weise beschwor und ich musste an einem scheußlichen Phantasiemord teilnehmen. Als er sich befriedigt wähnte, sagte er: ›Wenn's ihn auch nicht umgebracht haben dürfte, einen kleinen Herzklaps wird er schon davongetragen haben‹. Die Sexualität Oskar Kokoschkas äußerte sich nicht nur in abnormen phantastischen Ausschweifungen, sondern auch in der Neigung zu sadomasochistischen Praktiken, wie zum Beispiel die folgende Briefstelle nahelegt. Gelegentlich bat er Alma, streng und ungnädig mit ihm zu sein: »Ich möchte so gerne, dass Du wenigstens mit mir unzufrieden bist, aber doch bei mir und mit Deinem schönen lieben Handerl auf mich schlägst!« Kokoschka empfand offenbar schon als Kind eine masochistische Freude an körperlicher Züchtigung. »Mit Absicht habe ich öfter etwas angestellt«, schrieb er in seinen Memoiren, »worauf die Lehrerin mich aus der Bank holte und übers Knie legte, um mich zu bestrafen.« Und weiter: »Wahrscheinlich war ich in die Lehrerin verliebt!« Auch Alma gegenüber bezeichnete er sich gelegentlich als »Buben«, der von seiner strengen Herrin »maltraitiert« werden muss. Kokoschkas exaltierte Sexualität war Alma fremd und musste ihr fremd bleiben, da das körperliche Ausleben erotischer oder sadomasochistischer Phantasien wohl nicht ihrer inneren Disposition entsprach. Möglicherweise ist es ihre Neigung zur hysterischen Inszenierung gewesen, die sie von gemeinsamen sexuellen Exzessen abgehalten hat. Demütigung auf Verlangen war für Alma jedenfalls uninteressant.

Im Sommer 1912 geriet die Beziehung von Alma Mahler und Oskar Kokoschka in eine erste Krise. Da war in erster Linie Kokoschkas Eifersucht, mit der Alma sich immer weniger abfinden konnte. Er verlangte von ihr, vollkommen zurückgezogen zu leben, alle gesellschaftlichen Verpflichtungen aufzugeben und nur für ihn da zu sein. Das konnte bei einer Frau wie Alma auf Dauer nicht gut gehen. Und so gab Alma ihm immer wieder Gründe, sich zurückgesetzt zu fühlen. Nicht selten spielte sie mit seiner Eifersucht, quälte ihn mit Liebesentzug oder ließ andere Menschen bewusst in ihre Nähe, was er als Demütigung empfand. Ende Juli 1912 klagte er in einem Brief: »Auch dass Du in erster Linie nicht daran denkst, dass unser Wiedersehen von der Beendigung meiner Arbeiten und der mir dadurch ermöglichten finanziellen Freiheit abhängt, sondern von der Gefälligkeit einer Freundin von Dir, wann sie abreisen wird, dass ich mich bereithalten soll, einzuspringen, wenn eine Lücke eintritt, ist mir furchtbar weh.«

Ähnlich wie Gustav Mahler und später Walter Gropius sowie Franz Werfel musste auch Oskar Kokoschka seine Beziehung zu Alma gegenüber seiner Familie und seinen Freunden verteidigen. Die Liaison des jungen Malers mit der stadtbekannten Witwe wurde von Außenstehenden äußerst skeptisch betrachtet. Freunde Kokoschkas wie etwa der Architekt Adolf Loos warnten ihn vor Almas angeblich schlechtem Einfluss und sahen ein schreckliches Ende voraus. Auch Kokoschkas Mutter war entschieden gegen die Verbindung; an ein Familienmitglied schrieb sie: »Wie ich diese Person hasse, das glaubt mir kein Mensch. So ein altes Weib, die schon ein elfjähriges Familienleben hinter sich hat, hängt sich an so einen jungen Buben …«. Für Romana Kokoschka war Alma nur die »Circe«, wie sie sich abfällig ausdrückte, eine anrüchige Kokotte, die ihren Sohn verderben würde. Einige Jahre später drohte sie sogar, Alma zu erschießen, falls sie sich ihm erneut nähern sollte. Einmal promenierte sie »einige Stunden lang vor Alma Mahlers Haus, die Hand verdächtig in der Manteltasche bewegend«, während die »Circe« ängstlich aus dem Fenster schaute. Zweifellos: der Hass saß tief und war wechselseitiger Natur. Gelegentlich warf Alma Kokoschka vor, er habe sich seiner Mutter gegenüber »unmännlich« (sprich: zu nachgiebig) verhalten. Kokoschka, der zeitlebens ein enges Verhältnis zu seiner Familie hatte und sie auch finanziell unterstützte, reagierte gereizt auf derartige Vorhaltungen: »Die Erledigung mit meiner Mutter ist nicht unmännlich, sondern einfach die geeignete für eine Frau, die die Wahrheit nicht mehr einfach verträgt, weil ihre Gesundheit durch lebenslange Sorgen und Aufregungen jeder Art ruiniert ist.« Die Tatsache, dass sich Alma und Kokoschkas Familie und Freunde unversöhnlich gegenüberstanden, trug nicht unwesentlich zum Scheitern dieser Verbindung bei.

Im Sommer 1912 überstürzten sich die Ereignisse. Alma vermutete, dass sie wieder schwanger war, wie sich einem Brief Kokoschkas vom 27. Juli entnehmen lässt: »Sollst Du ein liebes Kind haben von mir, so ist die große gute Natur barmherzig und löscht alles Schreckliche aus und reißt uns nie mehr auseinander, da wir aufeinander ruhen und gestützt sind. Du wirst jetzt an mir gesund und ich habe meinen Frieden in Dir, Liebliche, gefunden. Wir finden jetzt das Heilige der Familie, Du wirst Mutter werden [...].« Alma, die sich über ihr Verhältnis zu Kokoschka nicht im Klaren war, ging das alles viel zu schnell, zumal er nun darauf drängte, sie endlich zu heiraten. In Murren, einem Kurort im Berner Oberland, wohin das Paar mit Anna Moll und Almas Halbschwester Maria Anfang August gereist war, begann Kokoschka heimlich mit den Hochzeitsvorbereitungen. Unter dem Vorwand, neue Personaldokumente beantragen zu müssen, bat er seine Mutter, ihm den Tauf- und Heimatschein sowie das Befreiungszeugnis vom Militärdienst sofort in die Schweiz zu schicken. Während er mehrfach in das benachbarte Interlaken fuhr, um die Gegebenheiten für eine Hochzeit zu erkunden, war Alma von der Idee einer neuen Ehe überhaupt nicht angetan: Ich zitterte oben im Hotel vor einem etwaigen Gelingen. Offenbar waren die bürokratischen Hürden aber so hoch, dass Kokoschka seinen Plan aufschob.

Mitte September brachen beide nach Baden-Baden auf, wo Alma ihre Schwester im Irrenhause zu besuchen hatte, weil man sich einen wohltätigen Einfluss auf ihr Gemüt davon erwartete. Dort bestätigte sich ihre Befürchtung: sie war von Oskar Kokoschka schwanger. Über München reiste Alma schließlich am 18. September nach Österreich zurück: Ich kam am Abend in Wien an – fuhr in die Wohnung – allein mit dem Kind – und in dieser Wohnung fühlte ich auf einmal: Ich bin nicht Oskar’s Frau! Die Totenmaske von Gustav war in meiner Abwesenheit angekommen und in mein Wohnzimmer gestellt worden – dieser Anblick brachte mich fast von Sinnen. In ihr Tagebuch notierte sie in jener Zeit einen Alptraum, dessen Bildlichkeit nicht weiter entschlüsselt werden muss: Enge Schiffskajüte – auf dem unteren Bett mit Leinwand zugedeckt der Sterbende [Gustav Mahler] – Oskar und ich ruhig dabei – Tod — im selben Moment selige Umarmung knapp neben dem Verschiedenen. – Der Arzt kommt – Lilly [Lieser]: Hoffentlich bemerkt er nichts!!?– der Arzt untersucht und sagt – gehen sie in die nächsten Cabinen – die Enge und Hitze hier - der Leichnam dürfte bald riechen – wir wandern – und kommen zurück und das Bett ist leer – alles Grauen – vorüber entkräftet – so auch in mir – für immer. Man braucht kein psychoanalytisches Instrumentarium heranzuziehen, um festzustellen, dass Alma mit ihrem schlechten Gewissen zu kämpfen hatte. Sie litt unter der Vorstellung, dass Kokoschkas Kind irgendetwas mit dem toten Mahler zu tun haben könnte, und wollte es wohl vor allem deswegen nicht haben. Nach schmerzhaften Auseinandersetzungen willigte Kokoschka in eine Abtreibung ein, die Mitte Oktober vorgenommen wurde. Alma: Im Sanatorium nahm er die erste blutige Watte von mir weg und trug sie nach Hause. ›Das ist mein einziges Kind und wird es bleiben – ‹ Diese alte vertrocknete Watte hatte er später immer bei sich ... Oskar Kokoschka hat Alma diese Abtreibung nie verziehen. Noch Jahrzehnte später erinnerte er sich an jene dramatischen Oktobertage 1912: »Warum mein Verhältnis bereits vor dem Krieg zu Ende gegangen ist, daran war diese Operation in der Klinik in Wien schuld, die ich Alma Mahler nicht verzeihen wollte. Man darf aus Lässigkeit das Werden eines Lebewesens nicht absichtlich verhindern. Es war ein Eingriff auch in meine Entwicklung, das ist doch einleuchtend.« Kokoschka verarbeitete seine Gewissenskonflikte im Jahr 1913 in mehreren grausigen Kreidezeichnungen wie »Alma Mahler mit Kind und Tod« und »Alma Mahler spinnt mit Kokoschkas Gedärmen«.

Trotz der Abtreibung, die die Krise zwischen Kokoschka und Alma verschärfte, erreichte Kokoschkas Heiratseifer Ende 1912 einen vorläufigen Höhepunkt. »Ich freue mich wirklich auf die schöne, heitere Welt«, schrieb er Alma im Dezember, »wenn Du meine Frau sein wirst und nicht mehr getrennt bist von mir.« Bereits im Oktober hatte er mit Carl Moll gesprochen, »und er hat seine Einwilligung zu unserer Ehe gegeben, ohne besondere Schwierigkeiten«. In dieser Zeit arbeitete Kokoschka an einem Doppelbildnis, das ihn und Alma zeigt. Sie trägt auf diesem Ölgemälde einen roten Schlafanzug, der für Kokoschka eine Art Fetisch war. Ich bekam einst einen feuerfarbenen Pyjama geschenkt, erinnert sie sich. Er gefiel mir nicht wegen seiner penetranten Farbe. Oskar Kokoschka nahm ihn mir sofort weg und ging von da ab nur mehr damit bekleidet in seinem Atelier herum. Er empfing darin die erschreckten Besucher und war mehr vor dem Spiegel als vor seiner Staffelei zu finde. Unverkennbar stellt das Bild ein Liebespaar dar: Oskar Kokoschka und Alma halten sich eng umschlungen und reichen sich – wie zu einer Verlobung – die Hände. Das erkannte wohl auch Walter Gropius, der eben jenes Doppelbildnis im Frühjahr 1913 auf der 26. Ausstellung der Berliner Secession zu sehen bekam. Die Aussage war unmissverständlich und muss ihn tief getroffen haben, zumal Alma ihm in ihren Briefen das bereits über ein Jahr währende Verhältnis mit Kokoschka stets verheimlicht hatte. Warum hatte sie Gropius nicht die Wahrheit gesagt? Glaubte sie etwa, im Falle eines Bruches mit Kokoschka zu ihrem ehemaligen Liebhaber zurückkehren zu können? Gropius wollte sich aber verständlicherweise nicht auf ein zweigleisiges Spiel einlassen. Waren seine Empfindungen für Alma bereits deutlich abgekühlt, wurden nun auch seine Briefe an sie immer seltener, bis die Korrespondenz im Laufe des Jahres 1913 schließlich ganz aussetzte.

Kokoschka war allem Anschein nach weder über das volle Ausmaß von Almas Verbindung zu Gropius orientiert, noch wusste er, dass sie mit ihm in Briefkontakt stand. Während Alma und Lilly Lieser im Mai 1913 für einige Wochen nach Paris reisten, nahmen Kokoschkas Hochzeitspläne deutliche Konturen an. »Du sollst mein Weib werden und ich Dein einziger Mann«, schrieb er nach Paris, philosophierte über »verschiedene Formen des Zusammenlebens« und bezeichnete Alma kurzerhand als seine »liebe Braut«. Und Anfang Juli bestellte er ohne Almas Wissen und Einverständnis im Döblinger Gemeindehaus das Aufgebot. Als Alma zufällig davon erfuhr, flüchtete sie mit Anna in den westböhmischen Kurort Franzensbad und blieb dort so lange, bis der Termin für die Hochzeit verfallen war. In ihren Memoiren behauptete Alma später, sie habe Oskar versprochen, dass ich zurückkomme und ihn sofort heiraten werde, wenn er ein Meisterwerk geschaffen habe. Dies war sicherlich nicht mehr als ein Hinhalten, eigentlich wusste Alma selbst nicht, was sie wollte. Sie verlegte sich aufs Lavieren. Statt sich eindeutig für oder gegen eine Hochzeit mit Kokoschka zu entscheiden, nahm sie nach einer längeren Phase des Schweigens wieder Kontakt mit Walter Gropius auf. Ende Juli schrieb sie ihm einen vielsagenden Brief: Ich werde vielleicht heiraten – Oskar Kokoschka, ein unseren Seelen vertrauter, mit Dir aber bleibe ich durch alle Ewigkeit verbunden. Schreibe mir, ob Du lebst – und ob dieses Leben des Lebens wert ist. Das Pathos abgezogen, klingen diese Zeilen, was die Annoncierung einer eventuellen Heirat betrifft, wenig überzeugend. Wie Walter Gropius auf diesen Brief reagierte, ob er überhaupt antwortete, bleibt im Ungewissen.

Als Kokoschka Alma Mitte Juli unangemeldet in Franzensbad besuchte, kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung: Er fand mich nicht zu Hause und als ich endlich kam, hing sein Porträt, das er mir zum ›Schutz‹ mitgegeben hatte, nicht an der Wand des Hotelzimmers, wie er dies apodiktisch befohlen hatte. Ein Sturm brach los und unversöhnt reiste er ab. In den folgenden Wochen nahmen die Spannungen weiter zu. Dabei war es nicht allein Alma, die unter der Eifersucht ihres Partners litt, auch Kokoschka musste sich ihr Misstrauen gefallen lassen. »Dein heutiger Brief hagelt wieder von Grobheiten, und ich habe Dich so lieb und weiß nicht, warum Du auf mich bös bist.« Den erhaltenen Briefen Kokoschkas kann man entnehmen, dass sie ihn wegen offensichtlicher Nichtigkeiten als »Schlappschwanz« beschimpfte oder ihm vorwarf, »verjudet« zu sein. Almas Argwohn richtete sich sogar gegen ihre knapp 14-jährige Halbschwester Maria Moll, die von Oskar gelegentlich Zeichenunterricht bekam. »Ich habe heute der Maria keine Stunde gegeben«, versicherte er ihr, »damit Du Dich nicht unnötig kränkst.«

Nach der Rückkehr von Franzensbad hielt sich Alma nur kurze Zeit in Wien auf und reiste bald weiter nach Tre Croci in die Dolomiten. Man gewinnt den Eindruck, dass sie Kokoschka absichtlich mied und vor den heimischen Verhältnissen flüchtete. »Endlich Dein erster Brief«, jubelte Kokoschka am 21. August: »Ich habe nicht gewusst, dass Du so weit weg bist.« Zögernd und beunruhigt reiste er seiner Geliebten kurze Zeit später nach. Trotz der emotionalen Spannungen, die das Frühjahr belastet hatten, verliefen die spätsommerlichen Wochen in den italienischen Bergen offenbar in großer Harmonie. Morgens gingen sie in die dichten Wälder und beobachteten junge Pferde, die auf einer Lichtung grasten. Oskar hielt diese Naturerlebnisse in mehreren Kreide- und Kohlezeichnungen fest.